Wo Leben ist, dominiert auch immer wieder der Tod – das musste die Melodic Death Institution SOILWORK während den Aufnahmen zu „The Ride Majestic“ am eigenen Leib spüren, aber anstatt aus ihrem zehnten Studioalbum eine Anthologie der depressiven Texte zu bauen, gingen die Schweden um Frontsänger Björn „Speed“ Strid ganz andere Wege: Sie zelebrierten stattdessen das Leben der kürzlich Verstorbenen und so mutierte ihr Werk schnell zu einem der besten, das man seit langem von ihnen auf die Ohren bekam. Denn nach einem weiteren Line-Up-Wechsel verließ das Quintett die amerikanischen, metalcorelastigen Soundgefilde und und besann sich wieder auf seine schwedischen Melodic Death Wurzeln voller schmerzhafter und doch genialer Melancholie.
Das Element „Tod“ schlängelt sich konsequent durch jeden Songs auf eurem Album, einer klaren Handlung scheint ihr aber nicht zu folgen – siehst du „The Ride Majestic“ dennoch als Konzeptalbum?
Björn „Speed“ Strid: Ja, man könnte sagen, dass es einem Konzept folgt. Das liegt vor allem daran, dass wir eine sehr turbulente Zeit durchmachten, als wir das Album schrieben und aufnahmen, fast jedes Bandmitglied hat währenddessen einen geliebten Menschen verloren und deshalb konnten wir gar nicht anders, als das Element des Todes immer wieder in unsere Arbeit einfließen zu lassen. Ich will nicht behaupten, dass es nur durch diese Schicksalsschläge geprägt wurde, weil ich schon lange über viele existentielle Fragen nachgedacht habe, auch auf „The Living Infinite“ war schon ein bisschen davon herauszuhören, aber erst jetzt, in dieser schweren Zeit, kam es wirklich an die Oberfläche. Weißt du, meine 94-jährige Großmutter starb, sie hatte ein sehr erfülltes Leben und ihre Zeit war wohl einfach gekommen, aber sie war eine meiner engsten Vertrauten auf dieser Welt. Es ist furchtbar, von jemandem die Hand zu halten und zu wissen, dass es das letzte Mal ist, dass man das tun kann – einerseits zerfrisst dich die Trauer, andererseits bist du dankbar, dass du noch die Gelegenheit dazu bekamst. Aus solchen tiefen Emotionen können dann eigentlich nur Songs entstehen. Ich ging nach Hause und wusste, dass sie nur noch ein paar Stunden lebt. Irgendwo kam in mir dann auch ein klaustrophobisches Gefühl auf, als ich merkte, dass man an einen einzigen Körper, ein einziges Leben gebunden ist. Und das muss man nutzen, auch wenn man manchmal nicht genau weiß, auf welche Weise.
Glaubst du denn an ein Leben nach dem Tod oder hast du durch die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema vielleicht deine eigene Philosophie dazu entwickelt?
Ich weiß es nicht. Ich frage mich oft, ob es mir denn lieber ist, einfach aufzuhören zu exisitieren, oder ob ich auf eine Fortsetzung hoffen möchte, egal welcher Art. Beides hat tröstende Aspekte. Sicherlich bin ich neugierig. Aber wenn du zu viel Zeit damit verbringst, darüber nachzudenken, nützt das ja auch nichts. Also verpacke ich lieber all diese wirren Gedanken in meinen Texten oder der Musik. Und ich will ehrlich sein: So düster das Album auch ist und so schwer die Zeiten waren – ich kann nicht erwarten, es live zu spielen und eine richtig fette Party zu den Songs zu machen. Ich will nicht, dass am Ende das Publikum weinend dasteht und sich den Kopf über existentielle Fragen zermartert. Ich will, dass die Fans Spaß mit uns und der Musik haben.
Also hast du keine Angst, dass dich die dramatischen Momente, in denen das Album entstanden ist, dann auf der Bühne heimsuchen? Oder siehst du es mehr als Zelebrieren des Lebens?
Ja, ich verstehe es als Hommage an unsere Toten und eine Feier des Lebens. Es werden viele Gefühle hochkommen, aber das ist auch gut so, denn manchmal brauchen wir diese Carpe Diem Augenblicke im Leben.
Euer Coverartwork fand ich sehr interessant. Alte Gemälde zu verwenden ist im Metal nichts Ungewöhnliches, aber das Bild scheint ja kein Werk aus dem Museum, sondern speziell für euch angefertigt worden zu sein, richtig?
Ja, es visualisiert sehr gut, was ich mir zu dem Album vorgestellt hatte. Als ich die Lyrics schrieb, kamen mir regelrecht biblische Szenarien vor Augen. Ich dachte an eine Welt oben im Himmel gefüllt mit verlorenen Seelen, wie ein Malstrom im Himmel. Es sollte sehr simpel und in schwarzweiß gehalten werden und bei der Suche nach einem geeigneten Künstler stieß ich auf Róbert Borbás, der für Grinddesign arbeitet. Also kontaktierte ich ihn und er war sofort begeistert, weil er Soilwork liebte. Er schickte mir jede Stunde ein Foto von seinem Fortschritt, sodass ich das Bild von der ersten Skizze bis zum letzten Strich verfolgen konnte, was mir sehr gefiel. Es war wie eine Reise in dieses Cover hinein und es half mir auch selbst noch einmal, das Album näher greifen zu können.
Ihr habt einen Song namens „Petrichor By Sulphur“ auf der Scheibe und ich muss ehrlich gestehen, dass ich erst einmal googlen musste, was Petrichor ist und hatte einen ziemlichen Aha-Moment, denn vermutlich kennt es jeder, aber niemand weiß den Fachbegriff dafür…
Genau – ich stolperte ehrlich gesagt durch Facebook darüber, wo jemand ein Bild postete mit dem Text „Weißt du eigentlich, wie man den Geruch nennt, der entsteht, wenn Regen auf Erde trifft?“ und ich dachte mir auch nur „Ja verdammt, natürlich kenne ich den Geruch, aber keine Ahnung, wie das heißt!“ und dann stieß ich eben auf den Begriff „Petrichor“. Und irgendwie fasziniere mich das Ganze, sodass ich es in einem Song verwenden wollte – natürlich mit dem kleinen Twist, dass ich noch Schwefel ins Spiel gebracht habe.
Um noch einmal auf den Aspekt des Todes zurück zu kommen: Was würdest du dir wünschen, dass Leute über dich nach deinem Tod schreiben oder sagen?
Uh… vermutlich fände ich einfach nur wichtig, dass sie etwas sagen. Eine Reaktion zeigen, wie genau sie sein soll, weiß ich gar nicht. Ich würde mir wünschen, dass ich etwas in ihrem Geist berührt habe, das sie dauerhaft mit sich tragen werden. Dass ich sie gelegentlich zum Nachdenken brachte. So etwas in der Art.
Ihr habt „The Ride Majestic“ und „The Ride Majestic (Aspire Angelic)“ auf der Scheibe, in wiefern hängen die Tracks zusammen, ist es eine direkte Fortsetzung?
Das war eine lustige Sache, David [Andersson, Gitarrist] und ich sprachen über geeignete Albumtitel, aber drifteten ab zu dem Thema Songs und er meinte „Ich habe da so einen Track geschrieben und nenne ihn vermutlich ‚The Ride Majestic‘!“ und ich rief nur „Was zum Teufel, ich habe einen Song mit demselben Namen!“ – und da die Lieder irgendwie Zwillinge waren, sowohl musikalisch als auch vom Titel her, entschlossen wir uns dazu, sie beide zu behalten.
Ihr seid auch wieder mehr in den skandinavischen Klang gerutscht – auf euren letzten Alben hatte ich den Eindruck, dass ihr immer amerikanischer klangt, aber mit „The Ride Majestic“ scheint ihr euch wieder auf eure Wurzeln zu berufen.
Ja, das stimmt, in skandinavischen Sachen hört man immer eine starke Melancholie heraus und das fehlte mir um ehrlich zu sein in letzter Zeit bei uns. Peter [Wichers, Ex-Gitarrist] wurde stark von der amerikanischen Seite inspiriert und daran ist auch nichts falsch, er war nur viel direkter und heftiger und nicht so progressiv und melancholisch. Nachdem er ausgestiegen war, fiel uns allen auf, dass wir diesen Teil vermisst haben und David belebte ihn deshalb wieder. Es ist nicht so, dass ich unsere Arbeit der letzten Jahre hinterfrage, es fehlte nur immer etwas und jetzt… ich glaube, es tut ein wenig weh, wenn man die Musik hört – und genau das ist es, was ich vermisst habe. Den Schmerz. Aber einen schönen Schmerz, weißt du.
„The Ride Majestic“ ist mittlerweile euer zehntes Album und die Band hat einige Jährchen auf dem Buckel – wenn du noch einmal mit dem jungem Björn reden könntest, der Soilwork gerade auf die Beine stellt, was würdest du ihm raten?
Schwer zu sagen, denn 1998 war die Musikszene noch ganz anders als heute. Und wir können uns sehr glücklich schätzen, dass wir die Zeiten noch miterlebt haben und uns bis jetzt halten konnten. Heute ist es so, dass zwar sehr viele Plattenfirmen unterwegs sind und deshalb deine Chancen auf einen Vertrag steigen, aber dementsprechend groß sind leider auch die Risiken, dass du einen miesen Deal bekommst. Ich werde öfter von jungen Musiker gefragt, was ich ihnen raten würde, aber eine klare Antwort darauf gibt es nicht, ich finde es aber wichtig, dass Band eigenständig eine Fanbase aufbauen, denn dann können sie zu einem Label gehen und sagen „Hey, wir haben schon die Musik, wir haben schon die Fans – jetzt brauchen wir nur noch minimale Hilfe“! Man muss sich leider von Anfang an professionell verkaufen, denn heute reicht es nicht mehr, nur gute Musik zu spielen, man braucht ein Geschäftskonzept. Deshalb würde ich auch raten, erst einen Booking Agenten aufzusuchen und mit ihm zu arbeiten, bevor man sich an ein Label heranwagt.
Erinnerst du dich denn noch an den ersten Plattenvertrag, den du unterzeichnet hast? Bist du dort auch in Krawatte und Anzug aufgelaufen?
Hahaha, nein – ganz ehrlich, es war nichts Glamouröses daran. Wir bekamen den Vertrag nach Hause geschickt, signierten ihn an unserem Kaffeetisch und gaben uns gegenseitig High Five, tranken ein Schlückchen und das war’s auch schon.
Also keine Orgien mit Drogen und Rock’n’Roll? Ihr enttäuscht mich!
Haha, nee, die kamen erst später, sorry!
Interview: Anne Catherine Swallow
Titelfoto: Hannah Verbeuren