Nachdem wir in unserem letzten Interview mit SONATA ARCTICA bereits feststellen dürften, dass Frontmann Tony Kakko ein sehr umgänglicher Zeitgenosse ist, der sich über abstraktere Fragen freut, liehen wir uns den finnischen Sänger noch einmal mit seinem Drummer Tommy Portimo auf dem Graspop Metal Meeting. Zeit, herauszufinden, was die finnische Wolfscrew gerade musikalisch in ihrem Geheimstübchen zurecht braut, aber auch, wo ein klassischer Finne hingeht, wenn er sich mal herzlich ausheulen muss! Die Veröffentlichung von „Pariah’s Child“ liegt zwar schon einige Zeit zurück, aber die Wolfaholics scheinen sich nie eine Pause gönnen zu wollen und während sie gerade noch über die europäischen Festivals tingeln, ist schon ein neues Album am Horizont zu erkennen – und eine US-Tour neben Nightwish rocken SONATA ARCTICA auch mit Leichtigkeit ab.
Hey Tony, hey Tommy, toll, gleich zwei von euch zu erwischen! Wenn ihr die Möglichkeit hättet, noch einmal mit eurem alten Ich zu sprechen, das gerade dabei ist, Sonata Arctica zu gründen, welche Ratschläge würdet ihr euch selbst geben?
Tony: Nimm um Gottes Willen Gesangsstunden, solange du noch jung bist! Man muss ja nicht immer alles auf die harte Tour lernen. So habe ich jeden Fehler selbst gemacht, mich oft genug heiser gesungen oder zu lange gefeiert – vermutlich würde ich meinem jungen Ich deshalb ins Gewissen reden, dass es früh an sich arbeiten soll.
Nachdem „Ecliptica“ letztes Jahr zu seinem fünfzehnten Geburtstag eine Revisited-Edition bekommen hat, zieht ihr 2016 auch in Erwägung, das gleiche mit eurem zweiten Album „Silence“ durchzuziehen?
Tony: Vermutlich nicht. Man soll niemals nie sagen, aber momentan steht es nicht auf unserem Plan. Es war das erste Album, mit dem wir zufrieden waren in Sachen Soundqualität, wir haben damals mehr Zeit und Geld in die Aufnahmen investiert und das Album ist wesentlich komplexer als unser Erstling, deshalb hat es ein Re-Recording nicht so sehr nötig, wie „Ecliptica“. Das war damals ja ein regelrechtes „Punkrock-Album“, sehr simpel geschrieben und produziert und wir nahmen es in neun Tagen auf. Deshalb war es auch leicht, es nochmal neu zu machen, mit „Silence“ und dessen gesprochene Passagen wäre das wesentlich komplizierter und aufwändiger. Und bevor wir uns damit monatelang aufhalten, würde ich lieber die Zeit nutzen, um neues Material zu produzieren.
Okay, die Frage hast du jetzt regelrecht provoziert: Wie sieht es denn an dieser Front aus, habt ihr schon einen kleinen Bruder für „Pariah’s Child“ in der Mache?
Tony: Jetzt gerade noch nicht, aber wir gönnen uns eine kreative Pause im September, um unsere Ideen zu sammeln und neue Songs zu schreiben, denn bis Februar haben wir dann erst einmal nichts zu tun – erst dann gehen wir mit Nightwish auf Tour und sind wieder eingespannt. Also wollen wir vorher im Herbst so viel wie möglich erledigt kriegen.
Kürzlich fand ich bei Youtube einen Soundclip, der in der Beschreibung behauptet, dass es Sonata Arctica sei, die „My Heart Will Go On“ covern – es klingt tatsächlich nach dir, aber ich konnte im Internet nichts weiter darüber finden, kannst du uns aufklären, ob der Song echt oder ein Fake ist?
Tony: Das ist echt. Ich war damals in einer Karaokebar und hatte schon ein bisschen gebechert, vermutlich stammt die Aufnahme davon. Es ist also nichts Offizielles von Sonata Arctica und generell kann man gut sagen: Wenn du etwas findest, das professionell produziert klingt, aber nirgends in unserer Discografie aufgelistet steht, dann ist es meist ein Fake – aber doch, „My Heart Will Go On“ ist tatsächlich von mir. (lacht)
Also Hand auf’s Herz: Wie stehst du zu dem Film „Titanic“?
Tony: Puh… tragische Geschichte. Schöne Geschichte. Und auch ein toller Song, ich will nichts dagegen sagen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich den Film mit meiner Frau im Kino gesehen habe – oder sehen musste – und ich war absolut schockiert über die Reaktion des Publikums. Jeder und ich meine wirklich JEDER um mich herum saß wie ein heulendes Häufchen Elend auf seinem Sessel, damit konnte ich überhaupt nicht umgehen. Klar, der Film ist traurig, aber… oh kommt schon, Leute! So etwas habe ich noch nie erlebt, es war wie eine Invasion von heulenden Leuten!
Tommy: Ja, normalerweise gehen Finnen nicht sehr offen mit ihren Gefühlen um, sondern rennen nach Hause, sperren sich im Dunkeln ein und weinen dort heimlich. „Entschuldigung, ich muss mal kurz… öhm… husten gehen!“
Wenn ihr den Soundtrack zu einem Film, den es schon gibt, produzieren dürftet, welchen Streifen würdet ihr euch für Sonata aussuchen?
Tony: Oh… vielleicht Star Wars oder Braveheart. Forrest Gump. Ja, ich würde jeden dieser Filme mit einer dicken Ladung Power Metal ruinieren (lacht)
Tony, es gibt ein Videointerview von dir, wo du ein gefaktes Sons Of Anarchy Shirt trägst, das ihr in „Sons Of Arctica“ umgewandelt habt – ich habe das ganze Internet durchwühlt, aber nirgends einen Shop gefunden, der es vertreibt…
Tony: Man kann es nicht kaufen. Elias hat die Dinger mal selbst für uns bedrucken lassen, weil er auf diese Abwandlung kam und dann unbedingt zusehen wollte, dass wir solche Shirts bekommen. Aber es war wirklich nur etwas Privates, deshalb sind sie leider nicht in offiziellen Shops erhältlich. Schade eigentlich…
Wer an Sonata denkt, muss automatisch auch an Wölfe denken, doch abgesehen von der Symbolik, wie ist euer Verhältnis zu den Tieren – begegnet ihr Zuhause in Finnland gelegentlich welchen im Wald, schließlich wanderst du scheinbar gern?
Tony: In der Wildnis? Nein, ich habe bisher nur Wölfe im Zoo gesehen. Vermutlich würde ich in Panik verfallen, wenn tatsächlich mal einer beim Spazierengehen vor mir stünde. Schließlich weiß man nie, wie ein Wolf reagiert, normalerweise rennen sie einfach weg und wollen nicht gesehen werden.
Tommy: Ja, normalerweise haben Wölfe mehr Angst vor dir, als du vor ihnen. Aber trotzdem würde ich mich darauf nicht verlassen…
Tony: Aber der Gedanke ist wirklich reizvoll, wenn ich mir vorstelle, dass ich für ein paar Sekunden Auge in Auge mit einem Wolf im Wald stehen würde – Mann, ich hätte vielleicht Gänsehaut am ganzen Körper…
Tommy: …und einen lieblichen nassen Fleck auf der Hose.
Okay, ich schätze über die Songs von eurem letzten Album habt ihr schon sehr viel erzählt, deshalb nehme ich die Tracks einfach mal als Aufhänger für ein paar abstraktere Fragen. Zu „X Marks The Spot“: Wenn ihr eine Kiste verbuddeln müsstet, deren Inhalt in hundert Jahren gefunden wird, was sollte dann darin enthalten sein?
Tony: Mein Gehirn, muahaha! Nein, lass mich nachdenken… gute Frage… ein neuer Song. Ein unveröffentlichter Song. Aber nur die Noten, nicht das aufgenommene, denn wer weiß, ob eine CD oder MP3 in so vielen Jahren noch gelesen werden kann. Also ganz romantisch einfach ein Notenblatt.
Wenn ich es richtig interpretiert habe, geht es bei dem Song „Take One Breath“ um Genmanipulation und den „perfekten“ Menschen – wenn ihr euch eine Fähigkeit aussuchen könntet, die euch zu einem idealen Menschen macht, was würdet ihr wählen?
Tony: Ich will fliegen können! Oder unsichtbar sein. Beides hat seine Nachteile, aber fliegen wäre schon sehr praktisch. Auch wenn ich dann bitte gern noch eine zweite Superkraft hätte, denn wenn du in zehn Kilometern Höhe durch die Gegend düst, frierst du dir den Arsch ab, also wäre eine eingebaute genetische Heizung noch sehr praktisch.
Tommy: Ich hätte gern die Fähigkeit, alles mit einem Fingerschnipsen zu verändern. Stell dir vor,du kommst nach Hause und innerhalb einer Sekunde ist überall das Licht an, der Kamin brennt, das Essen steht auf dem Tisch und überall ist es aufgeräumt. Ich hoffe, da arbeitet schon jemand dran…
„Cloud Factory“ scheint sich hingegen mit der Unschuld eines Kindes und seinen träumerischen Gedanken zu beschäftigen – hattet ihr als Kind seltsame Gedanken oder Vorstellungen, an denen ihr festgehalten habt und von denen ihr heute wisst, dass es Blödsinn ist? Und sei es nur, dass ihr an den Weihnachtsmann geglaubt habt?
Tony: Oh… ja, als ganz kleines Kind habe ich vermutlich schon an den Weihnachtsmann geglaubt, aber sonst… doch, ich erinnere mich, dass ich große Angst vor der Dunkelheit hatte. Als ich etwa vier war, wachte ich jede Nacht laut schreiend auf, aber konnte mich am nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern. Es ging zwei Jahre lang so, dass ich jede Nacht aufwachte und wie wild schrie und mich kaum beruhigen ließ, meine Mutter war absolut verzweifelt, aber irgendwann hörte es einfach wieder auf. Gott sei Dank erinnere ich mich aber nicht daran, das Gehirn eines Kindes resettet sich ja scheinbar selbst und als Erwachsener kann man sich nur an wenige Dinge erinnern, die vor dem siebten Lebensjahr passiert sind. Das früheste woran ich mich erinnere, ist die Taufe meiner Schwester – da muss ich etwa vier gewesen sein.
Gibt es denn Gedanken, von denen ihr euch wünscht, dass ihr sie immer noch hättet – und sei es nur, dass ihr im stressigen Touralltag manchmal hofft, ihr wärt naiver und sorgenfreier und würdet euch weniger stressen lassen?
Tony: Nun ja, man muss irgendwann erwachsen werden. Die Welt ist ein grausamer Ort und wenn man im Geist noch zu sehr wie ein Kind ist, wird man schnell ausgenutzt. Sicherlich muss man jung bleiben und sich Momente des Kindisch-Seins gönnen, aber in einem abgeschotteten, sicheren Rahmen und nicht im Alltag. Ich selbst könnte zumindest nicht funktionieren, wenn ich immer noch die Unschuld eines Vierjährigen hätte – aber natürlich ist da trotzdem noch der kleine Tony, der heimlich in mir sitzt und sich wie ein Schneekönig über ganz simple Dinge freut, er muss allerdings gut beschützt werden.
Das klingt doch recht pessimistisch. In letzter Zeit hatte ich einige Musiker, die einen überraschend positiven Blick auf die Menschheit zu haben scheinen, aber du siehst das offenbar ganz anders. Deshalb nehme ich die Frage jetzt einfach langsam mal in mein Stammrepertoire: Hast du noch Hoffnung für die Menschheit?
Tony: Nein. Kürzlich las ich erst, dass wir uns in der Ära des sechsten Massensterbens der Erde befinden und man hört ja mittlerweile jeden Tag, dass eine Spezies ausgerottet wurde oder kurz davor steht. Das scheint momentan das erste Mal seit dem Aussterben der Dinosaurier zu sein, dass das passiert, aber die Menschen stehen auch ganz oben auf der Liste der Spezies, die vermutlich am schlechtesten angepasst ist und deshalb als erstes gehen muss. Es wird langsam gehen, ich glaube nicht an einen großen Knall, aber es wird sicherlich eine Krankheit ausbrechen, die uns letztendlich alle dahinrafft. Hoffentlich ist es nicht mehr in meiner Lebenszeit oder der unserer Kinder, aber ich schätze, es wird nicht mehr allzu lange dauern. Auch wenn es noch die Chance gäbe, es abzuwenden, sind wir Menschen einfach zu stur, es einzusehen und sofort zu handeln.
Tommy: Also ich bin da einfacher gestrickt und dort ist vielleicht der Punkt, an dem mein inneres Kind hervortritt. Ich will mir über so etwas einfach nicht den Kopf zerbrechen, sondern einfach nur morgens aufwachen und meinen Kram durchziehen. Sicherlich verschließe ich mich nicht vor der Welt, ich schaue Nachrichten wie jeder andere auch und bemerke all die Dinge, die ich lieber nicht wissen will, aber ich habe immer das Gefühl, dass ich selbst wenig an dem Problem ändern kann. Deshalb warte ich einfach ab, was passiert.
Tony: Es heißt immer, dass die Bienen aussterben. Und wenn die Bienen ausgerottet sind, kommen wir als nächstes dran, weil uns irgendwann – wenn auch langsam – die Nahrung ausgehen wird. Oder die Nahrung für unsere Nahrung, je nachdem, ob du Vegetarier bist oder nicht.
Mann Leute, ich habe gerade keine weiteren Fragen mehr parat, aber ich will euch nicht mit einer Weltuntergangsstimmung gehen lassen.
Tommy: Ach, alles gut. Ich esse gern vegetarisch…
Tony: Ich esse auch gern Vegetarier, haha! Aber danke dir! Coole Fragen, ich mag’s, wenn auch mal Sachen kommen, über die man ein bisschen nachdenken muss, lass uns das bald wieder machen.
Klar, ich nehm‘ dich beim Wort.
Interview: Anne Catherine Swallow