Schon im Mittelalter brauchte es Gaukler und Spielleute, um die Massen nicht nur zu unterhalten, sondern vor allem auch mehr oder minder subtil auf Missstände aufmerksam zu machen – in bester Manier schließen sich die Karlsruher Mittelalterrocker von SALTATIO MORTIS dieser Tradition an und sorgen bereits seit der Jahrtausendwende für sowohl Wall Of Deaths als auch nachdenkliche Stunden. Auf dem M’era Luna kann man sie mittlerweile zu den Stammgästen zählen und dort nutzten wir gleich die Chance, um mit Stimmgaukler Alea und Trommeltier Lasterbalk über ihr neues Album „Zirkus Zeitgeist“ und ihre Sicht auf die Welt zu sprechen – aber auch um zu lernen, was es braucht, um heute noch nackig am See tanzen zu können.
In der heutigen Zeit denkt man sich in der Tat immer wieder „Was für ein Zirkus ist das eigentlich?“, wenn man die Schlagzeilen liest oder Nachrichten schaut und in eurer neuen Single „Wo sind die Clowns?“ fragt ihr euch, wo der Spaß am Leben geblieben ist. Inwiefern könnt ihr immer noch über die Welt lachen, bei dem was heutzutage passiert?
Alea: Zu allererst wollen wir mal sagen: Hier auf dem Sofa sitzen die Spielleute Alea, der Bescheidene und Lasterbalk, der Lästerliche von [im Chor] SALTATIO MORTIS. Nein, aber wenn man den Zeitgeist heutzutage betrachtet, diesen Zirkus, dann kann ich darüber leider nicht mehr lachen. Ich lache mich allerhöchstens noch tot darüber, über was manche Menschen sich auf Facebook aufregen, bei denen es immer erscheint, als hätten sie sonst keine Probleme – aber all die anderen, ernsthaften Dinge wie die Krisen, das Fehlen der Menschlichkeit in der Wirtschaft und Politik, das sind Themen, bei denen mir das Lachen vergeht. Die Welt ist kalt, berechnend und finanziell gesteuert. Es fehlt die helfende Hand, die menschliche Komponente in fast allem, was heutzutage passiert.
Lasterbalk: Absolut. Dem ist nichts hinzuzufügen.
In „Nachts Weinen Die Soldaten“ greift ihr das Thema der Weltkriege auf und beschreibt vorallem die Einzelschicksale der namenlosen Soldaten. Denkt ihr, das Krieg heute immer noch so sehr verharmlost wird wie damals 1914 oder dass es uns Deutsche kaum mehr zu interessieren scheint, wo Krieg ausbricht, solange es nicht vor unserer Haustür ist?
Lasterbalk: Ich denke, die aktive Erinnerung an Krieg stirbt aus. Die Letzten, die hier in Deutschland noch Krieg miterlebt haben, waren unsere Großeltern und wenn sie gehen, sterben auch die Geschichten aus, sofern sie überhaupt erzählt werden durften. Und ich glaube tatsächlich, dass im Zeitalter der Videospiele und der allzeit verfügbaren Filme sich die Vorstellung von Krieg verändert hat. Viele Leute wissen gar nicht mehr, was das für eine Urgewalt ist und möchten sich damit auch gar nicht auseinandersetzen. Warum? Weil es wehtun könnte. Weil es die eigene Position hinterfragen könnte. Und genau darum ging es uns bei dem Song. Wir wollten das Einzelschicksal eines Soldaten unter diesem Kreuz darstellen und zeigen, dass es dabei um einen Menschen geht, der viel zu früh und aus schrecklichen Gründen gewaltsam gestorben ist. Denn genau das bedeutet Krieg.
Alea: Nachdem wir das Video veröffentlicht haben, las ich massig Kommentare dazu auf Facebook oder Youtube. Und ich bekam eine spezielle Mail, die mich umgeworfen hat. Sie kam von einem Mädchen, das erzählte, ihr Bruder sei vor kurzem im Einsatz gestorben und die Regierung würde sie damit völlig allein lassen. Sie treffen nur auf Unverständnis, bekommen keine klaren Informationen darüber, was mit ihm geschehen ist, von finanzieller Unterstützung ganz abgesehen – alles, was sie bekam, war eine Fahne für das Grab.
Lasterbalk: Das Problem fängt sogar noch viel früher an und zwar mit dem Irrglauben, dass Krieg eine Lösung sei. Nicht nur die Politik, sondern auch große Teile der Stammtischwelt sind der Meinung, dass Krieg alle Probleme löst, aber das tut er nicht, er schafft nur neue. Und es ist eine Mär, dass ein Krieg unvermeidbar ist, das ist nicht richtig – es gibt immer Alternativen und Möglichkeiten. Man muss es nur wollen.
Glaubt ihr denn, dass wir auch bald Krieg vor unserer Haustür haben werden und die Menschheit sich in nächster Zeit selbst auslöscht?
Alea: Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Warum soll die Menschheit enden? Vermutlich wird sie das eines Tages, aber unter welchen Umständen das passiert, will ich weder betiteln, noch darüber nachdenken. Worte setzen zu schnell Energien frei, die nicht frei gesetzt werden sollten.
Euer neues Video zu „Wo sind die Clowns?“ wurde in der früheren Heilstätte Beelitz gedreht, die eine extrem dramatische Vergangenheit hat. Was hat euch dazu bewegt, gerade dort zu shooten, hatte die Location eine persönliche Bedeutung für euch oder ging es dabei – wäre ja verständlich – nur um die geniale Lost Places Optik?
Lasterbalk: Die Optik war das Wichtigste für uns, wie bei einem Fotoshooting. Sicherlich haben wir uns auch mit der Geschichte der Location auseinandergesetzt, letztendlich ging es aber darum, dass es visuell sehr viel hergab.
Alea: Ich muss ganz ehrlich sagen, an meinem Drehort, wo der Part mit dem Bett aufgenommen wurde, bin ich erst einmal rückwärts wieder rausgegangen, weil es mir doch eine Spur zu hart war. Es handelte sich wirklich um ein altes Bett, das sie dort im Keller gefunden hatten und die Matratze kam ebenfalls aus einer dunklen Ecke im Keller. Ganz ehrlich, das war das Widerlichste, auf dem ich jemals gelegen habe! (lacht)
Bei euren früheren Alben habt ihr immer Wetteinsätze auf die Chartplatzierungen gemacht – ist das immer noch ein Brauch oder reizt euch das mittlerweile nicht mehr, seitdem ihr ein Nummer 1 Album hattet?
Alea: Im Moment haben wir, ehrlich gesagt, gar keine Zeit dazu gehabt (lacht)
Lasterbalk: Diese Wetten waren ja nur als Motivation für uns gedacht. Alea hatte damals ein bisschen Kummer und unser Basser Bruder Frank wollte ihn aufheitern, indem er sagte: Hey, wenn wir in die Top Ten kommen, machen wir zusammen Urlaub!
Alea: …was immer noch nicht passiert ist!!
Lasterbalk: Und so sind dann diese Wetten entstanden und sie entwickelten sich zu einem Selbstläufer. Aber mittlerweile wollen wir darauf gar nicht mehr wetten, es ist ein Glücksspiel und wie relevant die Sache ist, ist eine ganz andere Frage.
Sicher. Früher galt ja immer das Klischee, dass man steinreich und weltberühmt ist, wenn man ein Mal mit seinem Album an der Chartspitze stand, heutzutage geht es dabei ja um ganz andere Verkaufssummen als früher noch…
Lasterbalk: Richtig, heutzutage haben die meisten ein falsches Bild darüber, was Musiker leisten und am Ende verdienen, selbst wenn sie als ‚erfolgreich‘ angesehen werden. Jeder hat noch das Bild des Rockstars der Siebziger vor Augen, aber diese Zeiten sind mit der Digitalisierung gestorben und vielleicht ist das sogar ganz gut so. Heute verdient ein Musiker weniger als eine Krankenschwester, arbeitet genauso viel, aber wenn man sich darüber beschwert, heißt es nur „Ach, hör doch auf zu jammern, du hast einen Traumjob“ – stimmt und wir machen ihn auch sehr gern, aber da liegt die öffentliche Wahrnehmung halt einfach falsch. Einen Nummer Eins Hit zu haben hängt ja auch an so viel Verschiedenem, nicht nur der Qualität deines Albums, da muss schon eine großflächige TV Campagne her und selbst dann ist es nur ein Glücksspiel.
Alea: Ja, nur mal am Rande erwähnt: Heute liegt die Grenze für ein Gold Album bei 100.000 verkauften Exemplaren und Platin bei 250.000 – ich habe vor einigen Jahren Fish, den Sänger von Marillion, kennengelernt, der mir in einem Gespräch erzählte, dass sie 1984 auf Platz 4 der Charts standen und in einer Woche 630.000 Alben verkauft haben. Und sie waren damit nur auf Platz 4! Stell dir mal vor, was damals Platz 1 verkauft hat! Das schafft heute niemand mehr, mittlerweile braucht man zwei Jahre um Gold zu erreichen. Deshalb wird es immer wichtiger, dass Leute losgehen, Merchandise kaufen und Konzerte besuchen, denn nur so kann man sich als Musiker am Leben halten und wir reden hier wirklich vom Minimum und keinen Luxusstandards. Da unterscheidet sich die Realität stark von der öffentlichen Meinung.
Es fällt immer wieder auf, was für reflektierte Zeitgenossen ihr seid und kaum ein Lied von euch kommt ohne harte Kritik an der heutigen Gesellschaft aus, trotzdem gilt Mittelalterrock als „Partymucke“ – hattet ihr nie die Sorge, dass eure Musik sich mit euren Texten beißt und ihr, sagen wir mal, im Death Metal besser aufgehoben wärt?
Alea: Absolut nicht. Ich bin jetzt mal ganz ehrlich: Als ich 16 war, habe ich extrem viel Gruftmucke gehört und ich habe nach einem Erlebnis die meisten meiner Scheibe verschenkt. Ich habe begonnen Swing, Metal und lustiges Zeug zu hören, weltoffener zu werden. Ein Kumpel von mir hatte sich umgebracht. Er war irgendwie in der Düsternis und Trauer untergegangen und die Musik schien das in dem Moment nur noch verstärkt zu haben und das konnte ich nicht ertragen. Und deshalb sage ich mir heute: Ja, da draußen ist alles ganz schön schlimm, aber solange ich morgens die Augen öffnen und einen Schmetterling als das Wunder, das er ist, wahrnehmen kann, solange kann ich auch lachen.
Lasterbalk: Trauer und Freude gehören einfach zusammen – das nennt sich Leben. Wie willst du Freude empfinden, wenn du nicht auch Leid kennst? Oft verschließen wir uns vor beidem und diese Angst müssen wir überwinden, uns für beide Seiten wieder öffnen. Und dann widerspricht sich unsere Musik überhaupt nicht mehr, da können wir Partystimmung verbreiten und witzig sein und gleichzeitig über tiefgründige Themen sprechen.
Okay, zum Schluss vielleicht nochmal was Aufheiternderes… Ihr habt ja auf Mittelaltermärkten mit eurer Karriere angefangen – was war das Bizarrste, was ihr jemals auf so einem Fest gesehen habt?
Alea: Als wir die ersten Jahre zusammen spielten, fanden unsere Konzerte nachts am Badesee statt. Und es kamen Leute nackt aus dem Wasser, um zu tanzen.
Lasterbalk: …und irgendwann haben wir dann auch nix mehr angehabt…
Alea: Haha, ja, aber das war lustig. Lebendig. Frei! Heutzutage macht das niemand mehr. Warum? Weil man immer davon ausgehen muss, dass irgendwo ein Depp mit seinem Handy steht, das Ganze filmt und bei Youtube reinstellt. Und das ist so schade.
Lasterbalk: Ich habe auch ein Erlebnis, das so bittersüß ist: Bei unserer letzten Platte spielten wir in Aschaffenburg eine Show, um vor dem Release Lieder auszuprobieren. Wir haben lange darüber diskutiert, weil wir davon ausgingen, dass am nächsten Tag dann alle Songs schon im Internet zu finden sein würden, aber dann sagten wir: Okay Freunde, wir werden das ausprobieren, steckt bitte alle eure Handys und Kameras weg – und tatsächlich hat niemand mitgefilmt und das fand ich großartig. Das ist aber das Bittersüße an der Sache. Es ist traurig, dass man um so etwas noch explizit bitten muss, auf der anderen Seite haben die Leute mitgemacht und das gab uns doch wieder eine große Ladung Hoffnung.
Interview: Anne Catherine Swallow
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