Es existieren ein paar wenige Leute auf diesem Planeten, mit denen ein dreiviertelstündiges Gespräch eine fünfjährige Therapie ersetzt. Und wenn NIGHTWISH-Songwriter und Tastenmeister Tuomas Holopainen seine Topform erreicht, kann er problemlos zu diesem Grüppchen gezählt werden. Denn was als gewöhnliches Interview über die achte NIGHTWISH-Scheibe „Endless Forms Most Beautiful“ begann, steigerte sich zum Ende hin immer mehr in eine philosophische Diskussion über die elementarsten Fragen des Lebens – was in der lauschigen Kulisse des Kölner Hard Rock Cafés etwas albern erschienen sein mag. Doch wer schon immer wissen wollte, wie Tuomas Holopainen über Terrorismus, imaginäre Freunde, Sterben, Religion, Klarinetten und die menschliche Rasse denkt, der sollte die nächste halbe Stunde gut beschäftigt sein, denn hier erzählte nicht nur ein langhaariger Kerl aus Finnland von seiner brutalst gute Mucke – hier arrangierte ein kleiner Künstler die Welt neu.
Sound Infection: Bisher ging es in deinen Texten eher um deine innere Welt, Träume und persönliche Schicksalsschläge, sie wirkten sehr nach innen gekehrt – auf „Endless Forms Most Beautiful“ scheinst du deine Herangehensweise aber regelrecht umzudrehen, indem du dich auf die Natur und die äußere Welt fokussierst. Wieso dieser Wandel?
Tuomas Holopainen: Es ist immer eine Frage der Inspiration, denn von ihr hängt alles ab. In den letzten Jahren las ich viele wissenschaftliche Bücher, wie von Richard Dawkins, Brian Cox oder Carl Sagan, und sie hatten einen enormen Einfluss auf mich, ebenso wie auf die anderen Bandmitglieder. Deshalb dachte ich, dass es endlich an der Zeit sei, ein Konzeptalbum über die Wissenschaft zu starten, denn wie du schon sagst, ging es bei NIGHTWISH sonst immer um Fantasie und persönliche Themen und nun war es an der Zeit, das am wenigsten intime Album zu schreiben. Nichtsdestotrotz finden sich aber auch hier noch sehr subjektive Gedanken wieder, wie in ‚Our Decades In The Sun‘, der Ballade, die wir unseren Eltern gewidmet haben, ‚Élan‘ oder auch ‚My Walden‘. Aber bei ‚The Greatest Show On Earth‘ geht es dann tatsächlich nur um die Entwicklung des Planeten Erde – ein Vorgang, der mich massiv inspirierte und seien wir ehrlich, ein größeres Thema gibt es vermutlich gar nicht (lacht)
War es eine bewusste stilistische Entscheidung, ein solch monumentales Thema in ein 24-minütiges Epos zu verarbeiten oder hast du einfach zu Schreiben angefangen und konntest nicht mehr aufhören?
Eine bewusste Entscheidung war diese Überlänge es nicht, aber wir wollten einen Song zu dem Thema machen und dachten nur „Lass mal sehen, wie lange es dauert, diese Geschichte zu erzählen!“. Wir wollten natürlich nichts auslassen, sondern tatsächlich zur Geburt unseres Planeten zurückspringen, die bekanntlich 1,6 Milliarden Jahre zurück liegt. Dann tummelten sich die ersten Einzeller und Bakterien, das Leben auf der Erde begann, später kamen die Säugetiere dazu und dann der Mensch und jener Song beschäftigt sich auch mit der Frage was nach der Ära der von uns Menschen mit dem Planeten passiert. Das war unsere Idee und daraus kann man natürlich keinen Fünf-Minuten-Track machen. Sicherlich hätten wir ihn auf 15 Minuten herunterkürzen können, aber es sollte auch nicht gequetscht wirken, sondern dem Hörer einen einfachen Zugang vermitteln. Und den gab es eben erst bei einer Dauer von 24 Minuten.
Mir gefiel auch das Gefühl, dass man sich sehr unbedeutend und klein vorkommt, wenn man durch diesen gigantischen Track reist. Um noch einmal auf ‚Our Decades In the Sun‘ zu sprechen zu kommen, der an eure Eltern adressiert ist: Was ist deine früheste Erinnerung an deine Eltern wenn es um Musik geht, fühltest du dich von Anfang an von ihnen unterstützt? Hast du ihnen schon als Kind kleine Songs in eurem Wohnzimmer vorgetragen?
Einen konkreten Moment habe ich nicht im Kopf, aber als ich sechs war, brachte meine Mutter mich zu meiner ersten Klavierstunde, weil sie selbst eine Klavierlehrerin war und immer noch ist. Sie schlug es mir einfach vor und meinte, ich solle ausprobieren, ob mir das Instrument liegt – und das tat es natürlich. Später lernte ich auch noch Klarinette und Saxophon 13 Jahre lang…
Wann war dein allererster Auftritt vor fremden Leuten?
Das muss mit acht gewesen sein, in dieser Musikschule. Eine Weihnachtsveranstaltung und ich stand dort ganz aufgeregt mit meiner Klarinette, di-di-di-di-di…
Du sagtest mal, dass du deine Songs grundsätzlich früh morgens schreibst, das überraschte mich sehr. Denn wenn man NIGHTWISH hört, geht man automatisch davon aus, dass diese Songs mitten in der Nacht komponiert werden. Wachst du direkt mit einer Idee auf oder wie kommt es, dass du so früh morgens am kreativsten bist?
Keine Ahnung, ich scheine morgens einfach am besten zu funktionieren. Es war nicht immer so, bis vor etwa fünf Jahren war ich tatsächlich eine Nachteule und liebte es, lange wach zu bleiben. Aber mittlerweile hat sich mein Zeitgefühl komplett umgedreht, ich bleibe selten noch bis Mitternacht auf! Stattdessen habe ich meine Liebe zum frühen Morgen entdeckt, der Geruch von frischem Kaffee mit den ersten Sonnenstrahlen ist genial und mein Kopf ist noch vollkommen klar.
Als ihr bekannt gabt, dass Richard Dawkins einen Gastauftritt auf eurem Album absolvieren würde, brach eine riesige Diskussionswelle auf Facebook aus. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es Leute gibt, die wegen einem Wissenschaftler einen Shitstorm anzetteln. Hättet ihr einen waschechten Satanisten eingeladen, hätte das in der Metalszene wohl keinen mehr geschockt, aber ein Evolutionsforscher schien vielen Fans wohl auf den Fuß zu treten – wieso denkst du, passiert so etwas noch im Jahr 2015?
Ja, das ist ein guter Punkt. Ich war absolut sprachlos wegen den Reaktionen vieler Leute und – jetzt mal ernsthaft gesprochen – wegen ihrer Dummheit. Ich denke nicht, dass auch nur ein einziger dieser Menschen eine Dokumentation von Dawkins gesehen oder eins seiner Bücher gelesen hat, sie schienen einfach nur mit voller Begeisterung Dinge missverstehen zu wollen. Es ist leicht, jemanden wie Dawkins zu hassen, aber die meisten Leute, die entsetzt aufschrien, haben keine Ahnung von dem Thema, jedenfalls ließen die Kommentare auf unserer Facebookseite sehr darauf schließen. Und wie du schon sagtest, kam uns auch der Gedanke „Okay, wir sind eine Rockband und um heutzutage noch zu schockieren, kommst du mit Drogen oder Satan nicht weit – mit einem Biologen an Bord aber schon!“. In Amerika hatten wir unzählige Fans, die ihre Konzerttickets zurückgaben und sich öffentlich dazu bekannten, dass sie alle NIGHTWISH-Alben wegwerfen würden, nur weil wir in Kontakt mit Dawkins standen. Witzigerweise belegt das aber den Grund, weshalb er auf unserem Album vertreten ist. Die Menschheit ist schon eine faszinierende Spezies. Dawkins schreibt wundervoll und ist einer der herausragendsten Köpfe der heutigen Zeit und da der Song ‚The Greatest Show On Earth‘ auf einem seiner Buchtitel basiert, war es einfach passend, ihn zu fragen, ob er eine Sprechrolle darauf übernimmt.
Hast du die Passagen, die er spricht, selbst verfasst oder stammen sie aus seinen eigenen Texten?
Die ersten beiden Stellen sind seine eigenen Worte. Eine stammt aus dem Buch „Der entzauberte Regenbogen“ und auch die andere kommt von ihm, die letzte Passage ist wiederum von Charles Darwin.
Obwohl du weiterhin als Hauptsongwriter agierst, stammt auf diesem Album doch auch überraschend viel von Marco [Hietala; Bassist & männlicher Sänger], ist es schwierig für dich, auch mal das NIGHTWISH-Ruder aus der Hand zu geben?
Auch auf den bisherigen Alben gab es immer wieder Songs, die von Marco oder Emppu stammen, aber ja, diesmal hat Marco schon im Vorfeld sehr viele Demos aufgenommen und sie mir gegeben. Bei ‚Our Decades In The Sun‘ hat unsere Zusammenarbeit hervorragend geklappt, ich hatte bereits zwei Versionen des Songs geschrieben und war immer noch unzufrieden, sie brachten die Geschichte einfach nicht zum Leben und schließlich sollte es ein Dank für unsere Eltern sein, da wollte ich schon, dass es perfekt wird. Und dann kam Marco und schlug einen Refrain für den Song vor und ich wusste auf der Stelle, dass es das war, worauf ich selbst nicht gekommen war. Zusammenarbeit at its best!
Eigentlich hatte niemand Zweifel daran, dass Floor Jansen die ideale neue Sängerin für eure Zukunft ist, trotzdem würde mich interessieren, ob es bei den Aufnahmen Momente gab, bei denen ihr euch nochmal bewusst wurdet, dass es die richtige Entscheidung war.
Ja, natürlich. Als wir mit den ersten Proben in Finnland loslegten, kannte sie bereits alle Songs in- und auswendig, nur durch die Demos. Ich hatte die Vocal Lines für sie ja nur mit dem Klavier eingespielt und ihr die Lyrics dazu geschickt und sie hatte alle davon schon so in ihrem Kopf gespeichert, dass wir sofort loslegen konnten. Das zeigte uns natürlich erneut, wie sehr sie sich NIGHTWISH verschrieben hat, dass ihre Motivation nicht größer sein könnte und ihre Professionalität ebenso.
In ‚Weak Fantasy‘ hört man die Textstelle „Fear is a choice you embrace“ und obwohl ich davon ausgehe, dass der Part nicht direkt von Politik inspiriert wurde, fand ich es doch spannend, wie er auf die momentane Situation unserer Gesellschaft in Hinblick auf Terrorismus anzuwenden ist. Durch den Dauereinfluss der Medien, dem wir ausgesetzt sind, entsteht schnell eine Panik im Kopf, jeder hat nur noch Angst in die Luft gesprengt zu werden, obwohl das realistisch betrachtet doch eher unwahrscheinlich ist. Wie ist es deiner Meinung nach heute noch möglich, sich nicht ängstlich in ein Schneckenhaus zurückzuziehen, sondern bewusst zu bestimmen, wovon man sich beeinflussen lässt?
Zuerst einmal finde ich nichts falsch daran, Angst zu haben, zumindest bis zu einem bestimmten Grad. Wir sollten nicht ignorieren, was in der Welt vor sich geht, sondern es bewusst realisieren und auch gern mal wütend darüber werden . In ‚Weak Fantasy‘ ging es mir eben darum, an das Bewusstsein der Hörer zu appellieren – keinesfalls möchte ich Leuten sagen, wie sie über etwas zu denken haben, ich will einfach nur, dass sie denken und niemals aufhören, Dinge zu hinterfragen. Denn darum geht es in der Musik, Literatur oder Kunst – Gedanken anzuregen und Leute immer wieder anzustupsen. Was in der Welt, oder momentan im mittleren Osten, passiert, ist grausam. Es muss etwas getan werden und nur wenn jeder sich mal darüber Gedanken macht, können am Ende auch Lösungen entstehen.
Würdest du selbst einmal ein Album über Politik oder – im weiteren Sinne – aktuelle Krisensituationen schreiben?
In gewissem Maße habe ich das ja diesmal schon getan, ich musste einfach einiges, was mich beschäftigte, loswerden. Der Text zu ‚Weak Fantasy‘ war der schwierigste, den ich jemals geschrieben habe, und ich musste ihn unzählige Male mit Hilfe der anderen Bandmitglieder überarbeiten. Denn ich wollte nicht, dass es wie eine Moralpredigt wirkt, andererseits hielt ich die Themen des Songs für sehr wichtig und wollte meine Meinung darüber abgeben. Aber Gott nein, wir sind keine politische Band und werden es auch niemals werden, das kann ich nur so oft sagen, bis es jeder verstanden hat.
Wenn du von zahlreichen Überarbeitungen deiner Texte sprichst – gibt es mittlerweile Songs, die dir peinlich sind, insbesondere weil deine Lyrics immer sehr persönlich waren und ich mir gut vorstellen kann, dass man im Eifer des Gefechts manchmal Texte schreibt, von denen man sich später wünscht, dass sie nicht der ganzen Welt zugängig wären?
Ja, natürlich. Einige Texte, die ich in der Vergangenheit schrieb, waren damals sehr persönlich, doch wenn ich jetzt auf sie zurückblicke, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich mal die Person war, die das verfasst hat. Aber ich höre mir unsere Alben sowieso nie an, deshalb verstecke ich mich vor mancher Scham (lacht) Aber ja, es gibt zahlreiche Passagen, bei denen ich buchstäblich rot werde, wenn ich sie mir anhöre – oh Gott, habe ich das wirklich geschrieben? Aber ich schäme mich nicht ernsthaft, schließlich war es zu dem Zeitpunkt genau das, was ich sagen wollte und fühlte, alle meine Texte wurden mit guter Absicht und einem ehrlichen Herzen geschrieben – auch wenn sie heute vielleicht schräg oder peinlich erscheinen. Ich habe mich nie verbogen und das gefällt mir, deshalb würde ich nie auch nur eine einzige Note ändern.
Hast du demnach schon einmal in Erwägung gezogen, eine Autobiografie zu schreiben? Denn das scheint ja große Mode momentan zu sein.
Ich glaube nicht, dass ich genügend Interessantes erlebt habe, um eine Autobiografie zu schreiben. Vielleicht wenn ich 80 bin und immer noch lebe, dann könnte man mal darüber nachdenken…
Findest du dich gern ab mit dem Gedanken, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist oder wäre ewiges Leben dein Traum?
Nein, keinesfalls. Was für ein grässlicher Gedanke… Sicherlich will ich alt werden, aber irgendwann muss auch mal Schluss sein. Das Leben ist voller Schönheit, es gibt so viel zu erleben, aber die Ewigkeit würde mich langweilen. Über 200 Jahre mehr könnten wir aber gern reden… (lacht)
Kannst du dir in diesen kommenden 200 Jahren vorstellen, noch ein Scrooge-Album zu machen oder war das Projekt für dich eine einmalige Sache?
Ich denke, es war eine einmalige Sache. Vielleicht kommt mir noch einmal eine Idee, die ich mit NIGHTWISH einfach nicht umsetzen kann und dann wird noch so ein Projekt entstehen, aber ich habe absolut kein Interesse an einer Solokarriere. Ich sehe es mehr als einmalige Sache. Denn ich hätte kein Scrooge-Album mit der Band machen können, das wäre unfair den anderen Mitgliedern gegenüber, weil sie nicht eine solche Begeisterung für die Don Rosa Geschichten haben.
Mich erreichte letzten Sommer auch das Gerücht, dass For My Pain zurückkommen – ist da etwas dran?
Oh… nicht, dass ich wüsste. Vor etwa sechs Jahren hatte Altti mir eine handvoll Demos geschickt, die mir gefielen, aber durch den Termindruck von allen Seiten kam leider nie etwas davon zustande. Zeitlich ließ sich das Projekt nie wieder in die Realität umsetzen und in näher Zukunft wird da wohl auch nichts passieren – soweit ich weiß.
Okay Tuomas, jetzt habe ich dich schon 20 Minuten belagert und du hast lange Promotage vor und hinter dir, deshalb vielen Dank für deine Zeit…
Wie, wir sind schon durch? Komm, improvisier‘ noch ein bisschen, wenn dir was einfällt, das war nett!
Klar, gern – ich kriege eh einen Strafzettel, weil ich die Parkzeit schon massiv überschritten habe. Lass mal sehen… Auf den letzten Alben sind eure Pipes und keltischen Sounds immer mehr in den Vordergrund getreten. Mal abgesehen davon, dass es einfach gut klingt, woher kommt deine Liebe zur irischen Musik?
Es gibt eine seltsame, fast unerklärliche Ähnlichkeit zwischen finnischer und englischer Musik. Wenn man sich die Melodien, Akkorde und Strukturen anschaut, findet man viele Gemeinsamkeiten und Troy [Donockley, Uilleann Pipes] fällt das auch immer wieder auf. In Finnland spielen wir die Songs anders, wir haben keine Dudelsäcke oder Flöten, aber die depressive und gleichzeitig hoffnungsvolle Atmosphäre ist gleich. Und, Mann, wir haben einfach denselben schwarzen Humor. Wenn Troy sich finnische Comedyclips ansieht, lacht er sich immer schlapp, weil unser Sinn für Humor scheinbar sehr ähnlich ist, wie der der Briten. Monty Python und Ricky Gervais, hach ja!
Wer ist Sharbat Gula aus eurem neuen instrumental Track ‚The Eyes Of Sharbat Gula‘?
Oh, sie ist ein afghanisches Mädchen von einem weltberühmten Foto aus dem Jahre 1985. Kennst du es nicht? Es zeigt dieses 12-jährige Kind aus Afghanistan, einen Kriegsflüchtling, das diese wilden, unbändig einprägsamen Augen hat. Und als ich dieses Foto sah, musste ich einen Song darüber schreiben. Ihre Geschichte hat mich enorm mitgenommen und gerade jetzt, wo das Thema Flüchtlinge wieder in aller Munde ist, hielt ich es für sehr wichtig, etwas über Kinder im Krieg zu schreiben. Aber es ist ein so schwieriges und heikles Thema, dass mir einfach nicht die richtigen Worte kamen, es schien mir unmöglich, einen überzeugenden Text über kriegsgeprägte Kinder zu schreiben und glücklicherweise kam Troy dann auf die Idee, einfach einen instrumentalen Track daraus zu machen. Und das war dann der Durchbruch. Denn letztendlich finde ich, dass ein fehlender Text in dem Falle mehr ausdrückt, er gibt jedem die Möglichkeit, seine eigenen Gefühle zu dem Thema zu entwickeln. Die Gefahr prätentiös zu werden, war schlichtweg zu groß. (er googlet das Foto, um es zu zeigen) Nach 25 Jahren ging der Fotograf zurück nach Afghanistan, um noch einmal ein Foto zu machen und so sieht sie heute aus. Ihr ganzes Leben spiegelt sich in diesen Augen, siehst du!
Als Kind wolltest du Biologe werden, richtig? Wärst du heute in dem Job zufrieden?
Ja, meine Mutter erzählt mir immer, dass das mit sechs Jahren mein Traumberuf war. Wir lebten ziemlich inmitten eines Waldes und ich war das jüngste Kind in der Familie und hatte wenig Freunde, deshalb erschaffte ich mir diese imaginären Freunde, die mit mir im Wald wohnten. Und so saß ich die meiste Zeit des Tages in der Natur von Finnland, am Wasser und spielte vor mich hin. Die Natur hat mich immer fasziniert und ich war eines dieser seltsamen Kinder aus dem Vogelbeobachtungsclub der Schule! Oder dem Astronomieclub! Aber mit der Zeit ging das Interesse verloren, ich studierte sogar mal ein halbes Jahr lang Biologie, aber als NIGHTWISH dann ihren Durchbruch hatten, entwickelte ich neue Prioritäten. Ich horche gern hin und wieder noch in die Welt der Wissenschaft und erkundige mich, welche neuen Erkenntnisse es gibt, aber auf dem Feld arbeiten wollen, würde ich nicht.
Es wundert mich allerdings, dass du schon als Kind sehr an Wissenschaft interessiert warst, da das Klischee ja eher sagt, dass Künstler und Poeten sich mit Zahlen und Fakten schwer tun.
Wirklich? Nein, die Poesie der Wissenschaft ist die Schönste von allen. Wenn du durch ein Teleskop schaust, siehst du die Realität und sie ist absolut poetisch und spirituell. Jeder sagt, dass ein Regenbogen Kunst ist, aber wenn du das Naturphänomen auseinandernimmst und genau erklärst, wie es entsteht, dann wird es zu Wissenschaft. Der Sternenhimmel ist genau genommen eine Ansammlung von Gasbällen, der Mond, den wir seit Jahrtausenden für mystisch halten, ist eigentlich nur ein lebloser Klumpen Stein. Aber das nimmt ihm doch nicht seien Schönheit. Für mich ist es das Schönste überhaupt, den realen Kern von etwas zu sehen.
Das ist interessant – ich persönlich hatte immer den Eindruck, dass ein Blick hinter die Fassade oftmals die Show zerstört.
Viele Leute denken das. Aber ich bevorzuge es, immer die volle Wahrheit in den Dingen zu sehen, soweit uns Menschen das natürlich möglich ist. Wahrheit ist das, was mich antreibt. Ich möchte wissen, was real ist, denn nur das kann wirklich poetisch und spirituell sein. Aber natürlich können wir nicht immer alles wissen, niemand weiß, woher das Universum stammt oder was mit uns nach dem Tod passiert, auch wenn Fundamentalisten behaupten, dass sie es sicher wüssten.
Aber das bringt auch was Gutes mit sich, denn dort setzt die Fantasie ein. Die kann zwar schnell für die Wahrheit verkauft werden, wie im Fall der Kreationisten, aber Geheimnisse haben auch immer ihren Charme…
Klar, Geheimnisse sind fantastisch! Und es wird sie immer geben, weil niemals alle Fragen beantwortet werden können. Weißt du, mir fällt da ein tolles Zitat von Carl Sagan ein: „Imagination will often carry us to worlds that never were, but without it we go nowhere.“ Immer wenn ich das lese, bekomme ich Gänsehaut, denn er bringt es perfekt auf den Punkt.
Was passiert mit uns nach dem Tod, deiner persönlichen Meinung nach?
Wir werden zum Futter für Würmer. Oder zu Asche. Da es bis heute keinen wissenschaftlichen Beweis für ein Leben nach dem Tod gibt, versuche ich hier und jetzt alles zu erledigen, was ich will. Natürlich kann ich nicht mit Sicherheit behaupten, dass nicht doch etwas nach unserem Tod kommt, aber ich will das Risiko nicht eingehen, mich darauf zu verlassen. Zweifeln ist gut, aber ich verlasse mich lieber auf Beweise, denn nur mit blindem Glauben durch das Leben zu gehen ist sehr gefährlich. Wenn du dir selbst überlegt hast, was du glauben möchtest und daran festhältst, ist das vollkommen in Ordnung, aber damit wild hausieren zu gehen, halte ich für falsch. Und für mich war der Moment, in dem ich mir meiner Sterblichkeit bewusst wurde, der wertvollste überhaupt. Ich war nie so sehr im Reinen mit mir selbst wie damals. Wir haben nur ein paar Jahrzehnte unter der Sonne und davon sollten wir hundertprozentig profitieren. Ich sehe keinen Grund dafür, dass der Tod uns Angst machen sollte. Wir waren für Milliarden Jahre tot. Und nur jetzt erwachen wir für eine winzige Zeitspanne der Welt zum Leben, bevor wir wieder zu unserem Urzustand zurückkehren, in dem es kein Leid und keine Schmerzen gibt.
Hast du noch Hoffnung für die Menschheit? Dass wir jemals miteinander klarkommen oder siehst du unser Ende in nicht allzu ferner Zukunft?
Ich habe große Hoffnungen für die Menschheit. Doch, ich bin da sehr optimistisch. Und der Pessimismus der meisten Menschen verstört mich fast schon – ja, wir zerstören unseren Planeten systematisch und ja, die Überbevölkerung ist ein Problem, aber es gab niemals in der Geschichte der Menschheit so wenig Kriege wie jetzt. Das realisieren wir nicht durch die Medien, die ständig auf die Konflikte hinweisen, doch es geht uns besser, als es scheint, wir haben zahllose Krankheiten ausgerottet durch Technologie und Medizin… Die Wissenschaft bringt uns immer wieder neue Chancen und ich glaube fest daran, dass sie uns letztendlich eine bessere Zukunft ermöglicht. Vielleicht zerstören wir uns wirklich irgendwann selbst, doch der Schlüssel für den Weg in die andere Richtung ist – wieder mal – Wahrheit und Wissenschaft. Denn warum töten Menschen sich gegenseitig?
Ignoranz. Religion.
Ja, fundamentalistischer Glaube, Politik und Geld. Mann, warum können wir uns nicht einfach vertragen? (lacht) Eigentlich sollte das doch nicht so schwierig sein. Aber offenbar lieben Menschen die Idee des Leidens und der Vorstellung, dass eine Hölle existiert. Trotzdem darf man die Fakten nicht aus den Augen verlieren, denn in vielerlei Hinsicht wird die Welt auch zu einem besseren und toleranteren Ort.
Okay, jetzt haben wir so viele entscheidende Fragen geklärt, dass ich einfach nochmal einen drauf setzen will: Was ist dein persönlicher Rat für ein gutes Leben? Nicht global gesprochen, sondern für eine einzelne kleine Person im Alltag.
Weißt du, die Frage nach dem Sinn des Leben ist eigentlich die einfachste, die es gibt. Es existiert nicht nur eine Antwort, aber die simpelste wäre: Das Leben selbst. Wenn du jeden Tag voll auskostest und versuchst, die Welt auch nur minimal zu einem besseren Ort zu machen, dann hast du den besten Sinn für dein Leben gefunden. Das ist auch schon alles.
Aber wie krabbelst du zurück auf die Füße, wenn du deine Nase so fest in den Beton gehauen hast, dass du nur noch den Boden siehst?
Freunde. Musik. Und dieser absolut irre Zufall, dass ausgerechnet wir die Glücklichen sind, die es geschafft haben, gerade am Leben zu sein. Jede Statistik spricht gegen uns, aber wir haben es trotzdem geschafft, uns durchzukämpfen und geboren zu werden. Das ist ein irrsinniges Privileg. Aber ich will nicht arrogant klingen, denn ich weiß, dass wir es hier wesentlich besser haben, als die meisten anderen Menschen auf der Welt, die jeden Tag schlimme Dinge durchmachen müssen. Aber dementsprechend liegt es auch in unserer Verantwortung, denen zu helfen, die in nicht so privilegierten Verhältnissen leben. Niemand kann im Alleingang die Welt retten, aber jeder kann es auf seine Weise versuchen. Meine war es eben, ein solches Album zu machen, das vielleicht ein paar Leute zum Denken und Hinterfragen animiert. Aber es ist nur ein kleiner Anstoß und jeder muss seinen eigenen Weg finden und nur weil ich etwas vorschlage, erwarte ich nicht, dass Leute dem blind folgen – denn das wäre ja genauso sinnlos.
Interview: Anne Catherine Swallow
Headerfoto: Ville Akseli Juurikkala
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