Interview mit U.D.O. – „Wir haben die letzten 50 Jahre friedlich zusammengelebt, jetzt soll das nicht mehr möglich sein?“

Old School Heavy Metal und doch zeitgemäß? Mit ihrem mittlerweile 15. Studioalbum stampfen U.D.O. wieder einmal alle Zweifel nieder und zeigen, dass sie ihren unvergleichlichen Sound immer noch drauf haben. Als früherer Sänger von ACCEPT krächzte Udo Dirkschneider sich an die Spitze und genau dort oben steht er nun immer noch mit seinen 62 Jahren und rockt mit brutzelnder Energie auf seinem jüngsten Album „Decadent“, das am 23. Januar in den Regalen steht. Aufgenommen wurden die 12 Songs in seiner Exilheimat Ibiza und jenes sonnige Feeling brachte die Metallegende auch in seinem Interview mit:

 Sound Infection: Hallo Udo, alles gut? Dein neues Album heißt „Decadent“, da wollte ich einfach mal einsteigen mit der Frage, was für dich heutzutage dekadent ist?
Udo Dirkschneider: Wir sind ja in dem Sinne dekadent, dass wir einfach in einer dekadenten Welt leben. Auf der einen Seite sterben Kinder, weil sie nichts zu essen haben und auf der anderen leben Leute im schwelgenden Luxus. Das war das, woran wir bei dem Titel gedacht haben. Was mich selbst angeht, finde ich es noch nicht dekadent, hin und wieder ein Steak essen zu gehen, aber es gibt andere Momente, in denen mir unser Überfluss sehr auffällt. Bei uns in Ibiza, wo ich wohne, leben viele Söhne von Scheichs, die in der Nacht 100.000 Euro ausgeben für dicke Partys, das muss natürlich nicht sein, finde ich (lacht)
Um mal bei Ibiza zu bleiben: Du meintest, dass es viel leichter für dich ist, in der Atmosphäre von Ibiza zu arbeiten – glaubst du, dass du dennoch in der Lage gewesen wärst, dieselben Alben in Deutschland zu schreiben oder wärst du durch eine Winterdepression irgendwann in eine Schaffenskrise verfallen?
Es ist schon wahr, dass man wesentlich relaxter an Dinge herangeht. Aber das heißt natürlich nicht, dass man nicht auch in Deutschland dieselben Alben machen könnte – es ist nur einfach leichteres Arbeiten durch das bessere Wetter, man ist entspannt und gut gelaunt und das ist im deutschen Winter ja nicht jedes Mal der Fall.
Im März wart ihr in der Ukraine auf Tour, das fand ich sehr spannend. Inwiefern unterscheidet sich denn das, was du dort erlebt hast, von den Eindrücken, die man in den Medien vermittelt bekommt?
Ich muss sagen, wir waren auf Tour, als die Krise noch nicht so extrem war. Aber es begann, sich zu verdichten und wir haben dort sowohl mit Soldaten als auch mit jungen Leuten gesprochen und festgestellt, dass dort keiner so wirklich das „Warum und Weshalb“ der Lage verstand. In Sevastopol waren wir in einem Hotel mit vielen Journalisten aller namhaften Fernsehsender und wir bekamen von einem Bekannten erzählt, dass beispielsweise ein amerikanischer Journalist einem Soldat vor Ort hundert Euro gegeben hat, damit er ein paar Mal in die Luft schießt und er etwas schreiben kann. Wir haben auch eine Demonstration gesehen, bei der vielleicht hundert Leute mitmarschiert sind und dann zu sehen, was die Medien daraus machen, ist schon fragwürdig. Wie es allerdings danach in den kommenden Monaten dort war, das weiß ich nicht, denn in der ganz heißen Phase waren wir ja nicht mehr im Land.

 Ich schätze, die Fans, die dort zu euren Konzerten kamen, haben sich dennoch nicht groß von denen unterschieden, die ihr auch in anderen Ländern trefft, oder?
Nein, überhaupt nicht. Das war auch ganz toll bei unserem Konzert, da waren russische Fahnen neben ukrainischen Fahnen, wir haben uns, wie gesagt, auch mit den Leuten dort unterhalten und die konnten die ganze Problematik gar nicht verstehen, sagten nur „Wir haben die letzten 50 Jahre friedlich zusammengelebt, und jetzt soll das plötzlich nicht mehr möglich sein?“. Musik verbindet ja bekanntlich, wie man so schön sagt.
Udo, du hast Metalfestivals wachsen sehen, kennst Wacken seit seinen Anfängen, warst letzte Woche auch auf dem Metal Hammer Paradise dabei – wie siehst du denn die Entwicklung von Festivals, sind sie nicht mehr underground, matschig oder rockig genug für dich oder findest du gut, wie sich das verändert hat?
Bei Wacken ist mittlerweile sehr viel Kommerz dabei. Wir spielen nächstes Jahr mit einem Orchester dort, aber es ist natürlich eine völlig andere Hausnummer, als das Metal Hammer Paradise. Aber es gibt auch noch wunderschöne kleine Festivals in Schweden, Norwegen, Spanien, die noch so sind, wie man sich ein Festival vorstellt. In Wacken müssen kleinere Bands ja angeblich schon Gelder zahlen, um dort überhaupt auftreten zu dürfen und das ist der Punkt, an dem ich mir denke, dass wir damit langsam zu amerikanischen Verhältnissen kommen und das muss nicht sein.
Bevorzugst du dementsprechend auch weiterhin die Alte Schule in Sachen Metal oder erwischst du dich hin und wieder dabei, dass du auch neuere Stile wie Metalcore toll findest?
Ich sag’s mal so: Nach Namen darfst du mich nicht fragen! (lacht) Aber mein Sohn legt mir oftmals jüngere Bands nahe und sagt, dass ich mir die mal anhören soll – und es gibt auch wirklich coole Sachen manchmal heutzutage. Keiner erfindet das Rad neu, aber Leute erschaffen neue Mischungen. Und ich finde interessant, dass es immer mehr junge Bands gibt, die sich wieder auf die Wurzeln des Metal besinnen. Auch auf meinen Konzerten sehe ich oftmals sehr junges Publikum, die sind 15, aber kennen trotzdem all unsere Klassiker und das gefällt mir natürlich sehr.
Dein Sohn war ja auch Drumroadie bei euch und vor ein paar Jahren hatte ich gelesen, dass er auch selbst in einer Band spielt, allerdings weiß ich nicht, ob das immer noch aktuell ist. Ist er denn weiterhin auf dem Weg zum Profimusiker? 

Ja, er hat eine eigene Band, die ihr erstes Album aufnimmt und er bewegt sich sehr viel im Musikbereich, geht mit uns auf Tour, als Roadie oder arbeitet im Fernsehen und Radio. Er ist unterwegs in der Szene, lernt viel und hangelt sich von einer Chance zur nächsten, deshalb wollen wir mal sehen, wie er sich weiterentwickelt. [Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile sprang Udos Sohn bei Saxon ein, um den von einer Hirnblutung betroffenen Nigel Glockler auf Tour zu ersetzen]
Hattest du als Vater, der die Musikszene kennt, nie das Bedürfnis, deinen Sohn in eine andere Richtung zu ziehen oder in einen „handfesten Job“ zu schubsen?
Nun ja, ich habe darauf bestanden, dass er eine Ausbildung macht und etwas in der Tasche hat. Er hat sich für Mediengestalter Audio und Video entschieden und arbeitet in dem Job auch, deswegen ist das alles in Ordnung. Ach, er ist gut gelungen, das muss ich auf jeden Fall sagen!
Und kam da nie dein Beschützerinstinkt durch, der sagte, dass du deine Kinder vom Klischee des Rock’n’Rolls und der Sauforgien fernhalten wolltest?
Haha nun, das stimmt schon, die Szene ist nicht ohne! Das Schlimmste wäre wohl für mich gewesen, wenn er den Drogen oder dem Alkohol verfallen wäre, aber da habe ich Gott sei Dank gut vorgearbeitet. Bei uns war immer Rock’n’Roll Zuhause und er kennt diese Geschichten ja. Mit Drogen hatten wir aber nie etwas am Hut.
Okay, da muss ich doch nochmal nachhaken und fragen, ob du uns ein paar Anekdoten verraten möchtest zum Thema, wie rockig es bei euch Zuhause zuging!
Als ich mit U.D.O. angefangen habe, hat die ganze Band bei mir im Haus gewohnt und da war schon mächtig Party angesagt! Da wurden bei mir im Garten Texte geschrieben, im Keller nahmen wir Demos auf und das haben die Kinder natürlich mitgekriegt. Aber ich kann nicht behaupten, dass wir ständig besoffen im Garten lagen und von Drogen halte ich gar nichts, deswegen hielt sich alles in Grenzen.

 Du hattest dich mal zu Promotion durch das Internet geäußert und gesagt, dass heutzutage Plattenfirmen nur noch selten funktionieren und Bands oftmals einfacher dran wären, wenn sie sich selbst mit Hilfe des Internets promoten. Allerdings finde ich das gar nicht so leicht, im Internet wird man von allen Seiten mit Werbung zugeknallt; wo man bei Facebook nur hinschaut, promotet jeder seine kleine Band – wie denkst du, ist es noch möglich, da noch hervorzustechen?
Wenn ich heutzutage meine Karriere noch einmal neu anfangen müsste, würde ich gar nicht nach einem Plattenvertrag schauen, sondern mein Album selbst aufnehmen und eigenhändig versuchen, es unter die Leute zu bringen. Über das Internet ist ja vieles möglich, da würde ich noch zwei oder drei Menschen anheuern, die diese Promo übernehmen. Es gibt unzählige Seiten und Plattformen, wo Leute das auch mitkriegen, also da gibt es schon viele Wege. Das kommt schließlich auch immer auf die Musikrichtung an, da sucht man sich seine Zielgruppe und versucht, die zu bearbeiten, also ich sehe das als machbar an.
Gibt es für dich heute noch Metalgötter? Musiker, die du absolut anhimmelst? Oder bist du längst „Best Friends“ mit allen Leuten, die du großartig findest?
(lacht) Nee, vielleicht früher mal. Aber heute gibt es kaum noch Leute, bei denen ich „Oh, Gottes Willen“ sagen würde. Man kennt sich ja untereinander.

Um euch davon zu überzeugen, dass Udo und seine Crew immer noch mit Leib und Seele rocken, könnt ihr bei folgenden Tourdaten vorbeischauen:
Mär 06, 2015 Würzburg – Posthalle
Mär 07, 2015 München – Backstage
Mär 10, 2015 Frankfurt – Batschkapp
Mär 11, 2015 Hamburg – Markthalle
Mär 13, 2015 Kiel – Pumpe
Mär 15, 2015 Bremen – Aladin
Mär 18, 2015 Bochum – Zeche
Mär 19, 2015 Losheim – Eisenbahnhalle
Mär 20, 2015 Andernach – JUZ
Mär 21, 2015 Memmingen – Kaminwerk
Mär 22, 2015 Ludwigsburg – Rockfabrik
Mär 25, 2015 Nürnberg – Hirsch
Mär 26, 2015 Berlin – C Club
Mär 27, 2015 Leipzig – Hellraiser

Interview: Anne Catherine Swallow

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