Interview mit TARJA – "Manchmal glaubt man, die ganze Welt sei gegen einen, aber so ist es gar nicht"

Anne: Tarja! Vielen Dank, dass du dir Zeit für uns nimmst, vorweg: Wie geht es dir, gerade sitzt du ja Zuhause in Argentinien, richtig?
Tarja Turunen: Gern! Hier ist gerade noch früher Morgen in Buenos Aires. Vor kurzem kam ich erst aus Russland zurück und da hatte ich mit einer 14-stündigen Zeitdifferenz zu kämpfen, deshalb wache ich immer noch zu den unchristlichsten Zeiten auf und da wir eh bald wieder zurück nach Europa fliegen, um die Tour fortzusetzen, mache ich mir kaum noch etwas aus Tageszeiten (lacht)

Dein letztes Album „Colours In The Dark“ beschäftigt sich, wie der Name schon sagt, mit den verschiedenen Aspekten von Farben, deshalb würde ich gern wissen: Wenn du jeder Phase deines Lebens, von deiner Kindheit bis heute, eine bestimmte Farbe zuordnen müsstest – welche wären das jeweils?
Wow… interessante Frage… Ich denke meine Kindheit wäre die Farbe Grün, wegen der unberührten Natur, die es in Finnland gibt. Ich war eine der wenigen Mädchen, die ihren eigenen kleinen Wald – meinen Zauberwald – direkt vor der Tür hatten und ich verbrachte fast alle Tage damit, frei darin herum zu rennen. Im Gegensatz dazu wäre Buenos Aires, wo ich jetzt wohne, eher blau. Es ist eine riesige Stadt voller Leben, in der ich aber auch eine gewisse Harmonie für mich gefunden habe und diese innere Ausgeglichenheit ist für mich blau. Meine Teenagerjahre waren vermutlich rot! Voller neuer spannender Dinge – ich bin von Zuhause ausgezogen, verliebte mich das erste Mal, durfte Musik studieren mit der vollen Unterstützung meiner Eltern, ich war einfach ein unabhängiges jungen Mädchen, zu dem die Farbe rot wohl ganz gut passte. Danach… tja, da kam die Farbe Schwarz, weil es die Stärkste von allen ist, ich wurde zur Frau und zu dem, was ich heute bin, und keine Farbe charakterisiert mich besser. Auch wenn ich hierzu gelegentlich ein entspannendes Blau brauche, um auf Spur zu bleiben (lacht)
Ich finde faszinierend, was für positive Assoziationen du zu Schwarz hast, in einem Interview sagtest du mal, dass es keine traurige Farbe sei, sondern die, die alle anderen in sich vereint und ich fand das war vermutlich das treffendste Bild, das je von der Metalszene gezeichnet wurde.
Absolut! Und egal in welcher Situation du dich befindest, es ist immer okay, schwarz zu tragen. Es kommt nie aus der Mode und symbolisiert Stärke, andererseits besteht mit schwarz auch die Möglichkeit, sich unsichtbar zu machen und in der Masse unter zu tauchen – also wenn du deine Ruhe vor anderen Menschen willst, trage schwarz! (lacht) Mit einem pinken Shirt geht sowas nicht…
Dein Videoclip zu „500 Letters“ ist auch sehr düster gehalten, beinah wie ein kleiner Horrorfilm mit diesem Geist, der dich verfolgt. Ich schätze, das war eher metaphorisch gemeint, trotzdem: Glaubst du an Geister oder andere übernatürliche Phänomene?
Nein! Nein, ich bin zwar eine sehr spirituelle Person, aber… oh Gott, nein! (lacht) Ich schrieb das Skript zusammen mit einem deutschen Regisseur, der zusammen hier mit mir in Buenos Aires shootete, aber dachte bei der Figur dieses „Geists“ eher an meine eigenen Ängste und daran, dass ich nicht will, dass sie mich dominieren oder dauerhaft verfolgen. Lieber möchte ich ihnen ein für alle Mal ins Gesicht schauen – was ich in dem Video ja mehr oder weniger auch tue, daher kam die Idee. Auch in meinem Peter Gabriel Cover „Darkness“ geht es um dies Konfrontation mit Ängsten, viele meiner Songs auf dem Album drehen sich eigentlich um diese Schattenseite des Lebens.
Ich gebe zu, als ich die Texte des Albums gelesen habe, musste ich oftmals schlucken und dachte „Au weia, der Armen scheint es ja richtig dreckig zu gehen…“ – wie schwer ist es für dich, zu wissen, dass abertausende von Leuten mit diesen Lyrics quasi in dich hineinschauen können, zensierst du dich manchmal sogar selbst aus Angst vor der Reaktion anderer?

Weißt du… ich liebe den Gedanken, dass jeder, der sich mit den Texten beschäftigt, etwas anderes hineininterpretiert. So kann jeder einen Song auf seine eigene Situation anwenden und sich darin wiederfinden. Sicher schreibe ich über mein Leben, was mich berührt und beschäftigt, aber in einer so offenen Weise, dass sie nie wirklich spezifisch werden. Oft passiert es, dass Leute mit mir sprechen und mir ihre ganz eigene Geschichte zu meinem Song erzählen und das finde ich klasse. Mir selbst geht es genauso mit Liedern, die ich höre und denen ich eine ganz private Bedeutung gebe, auch wenn ich davon ausgehe, dass der Songwriter sich dabei etwas völlig anderes gedacht hat.
Gerade der Text zu „Never Enough“ ist ziemlich heftig, weil es darum geht, dass das lyrische Ich einfach nicht das erreichen kann, was jeder von ihm erwartet und daran zerbricht – gab es für dich schon viele Momente, wo du überlegt hast, deine Musik auf Eis zu legen, weil du das Gefühl hattest, den Erwartungen nicht gerecht zu werden?
Natürlich war ich am Boden nach der Trennung von Nightwish und für lange Zeit völlig neben der Spur. Trotzdem habe ich nie in Erwägung gezogen, mit der Musik aufzuhören, ich atme für die Musik, ich glaube an sie und wäre ein absolutes Häufchen Elend ohne sie. Der Gedanke, nie wieder auftreten zu können, würde mich zerschmettern. Deshalb, selbst wenn ich enttäuscht werde, arbeite ich einfach noch härter und versuche mich zu verbessern – manchmal glaubt man, die ganze Welt sei gegen einen, aber so ist es in Wirklichkeit gar nicht. Es gibt immer Positives, man muss nur die Kraft aufbringen, losgehen und danach zu suchen.

Jetzt, wo ich merke, dass mich bisher noch nichts umgebracht hat, fühle ich mich auch mutiger und habe das Gefühl, dass die schlechten Zeiten nötig und gut waren, um herauszufinden wer ich bin und um zu der Person zu werden, die ich sein will. Deshalb bin ich froh, dass ich auch schwere Momente im Leben hatte.
Ich habe gelesen, dass deine erste Performance vor Publikum im Kindergarten war, als du dort Klavier gespielt hast, stimmt das?
Was? Nein, wo hast du das denn gehört?! Ich habe schon als Kind viel gesungen, überall und in allen Situationen, meinen ersten Auftritt hatte ich aber mit drei, bei einem Kirchenevent, zu dem meine Eltern mich mitnahmen. Aber sie mussten mich zum Singen auf einen Tisch stellen, weil mich sonst keiner gesehen hätte (lacht) Ich habe zu einem bekannten Kirchensong meinen eigenen Text gesungen, den ich mir vor Ort ausgedacht habe, als ich den richtigen Text vergaß!
Oh Gott, wie süß, ich schmelze hier gerade ein wenig vor mich hin, ist das okay? (lacht) Nein, aber als du damals als eine der ersten Musikerinnen deinen Soprangesang mit Rock – beziehungsweise damals ja Metal – gemischt hast, hättest du jemals geglaubt, dass es ein paar Jahrzehnte später dazu ein eigenes, mittlerweile fast übersättigtes Genre geben würde?

Nein, es war ja nicht einmal mein wirklicher Plan, einer Metalband beizutreten. Auch Nightwish selbst hat ja gar nicht klingen wollen, wie wir letztendlich klangen, es war einfach nur Zufall – umso faszinierender war es dann zu sehen, dass die Sache Früchte trägt und Leute es tatsächlich gut fanden. Aber die Musik ist so emotional und schön, dass sie Menschen berührt und mich somit auch. Natürlich es es deshalb unglaublich, an dieser Entwicklung beteiligt gewesen zu sein.
Es war sehr faszinierend, letztes Jahr zu sehen, wie du mit Floor Jansen [aktuelle Nightwish Sängerin] ein Duett auf dem Female Metal Voices Festival gesungen hast und dass zwischen euch kein Groll zu herrschen scheint. Hast du jemals auf professioneller Ebene mit ihr über die Nightwish Songs gesprochen oder ihr Tipps gegeben zu den Gesangparts?
Nein, wenn wir uns begegnen, reden wir nicht über Nightwish, wir haben genügend andere Themen zu bequatschen und wollen da gar keine eventuellen Diskussionen beginnen. Ich wünsche ihr, dass sie glücklich ist und gesund bleibt, sie ist eine sehr gute Freundin von mir – aber auch gerade deshalb würde ich ihr niemals Ratschläge geben. Das habe ich sowieso nie mit jemandem gemacht, außer vielleicht meinen Schülern, aber mit anderen Frauen aus der Metalszene hatte ich wirklich nie das Bedürfnis, jeder macht seine Sache, so wie er möchte und ich ziehe eben meine Scheiße (sic!) durch. Ich selbst würde auch keine Ratschläge zu meiner Stimme annehmen… oh Moment, da fällt mir ein, Timo Kotipelto [Stratovarius Sänger] wollte mal, dass ich ihm Atemübungen empfehle, das war aber schon alles (lacht)
Du bist ja großer Fan von amerikanischem Metal, also dem richtig harten Zeug, was man niemals von dir denken würde – aber offenbar hast du ein Herz für Slipknot?
Ja, durchaus! Wobei mein Lieblingsact dann doch eher Avenged Sevenfold ist, Slipknot ist mir oftmals doch ein wenig zu hart, aber gewisse Stücke liebe ich. Mich inspirieren aber die Gitarrenriffs und dieser Groove unglaublich, deshalb findet der Einfluss des amerikanischen Metal immer wieder kleine Wege in meine eigene Musik.
Auf deiner aktuellen Tour hast du ja ein echt cooles Konzept für Meet & Greets entwickelt, dass du auf deiner Facebookseite postest „Die ersten fünf, die es schaffen, auf Finnisch zu sagen, dass sie hinter die Bühne wollen, dürfen zu einem Meet & Greet“ oder „Die ersten fünf, die dem Merchandise-Typen eine Liebeserklärung aussprechen, dürfen Backstage“ – funktioniert das Spielchen jeden Tag?
Es macht einfach Spaß und ich mag diese spontanen Ideen, die den Fans Freude machen. Außerdem ziehe ich ja auch viel Energie aus diesen Treffen, da es mir zeigt, für wen ich eigentlich jeden Tag spiele und als Künstler gibt es eigentlich nichts Besseres.
Aber da ich mit meiner Familie reise, ist es nicht möglich, das jeden einzelnen Abend durchzuziehen, ich muss ja auch Zeit mit meiner Tochter verbringen und bin manchmal gesundheitlich angeschlagen. Aber wann immer es geht, ziehe ich es durch!

Tarjas Deutschland-Tourdaten:
03.05. Hannover
05.05. Frankfurt
08.05. Stuttgart
09.05. Erfurt
11.05. Mainz
14.05. Düsseldorf
08.06. WGT Leipzig
16.08. Summer Breeze Dinkelsbühl

Interview: Anne Catherine Swallow

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