Wenn Mat „Kvohst“ McNerney singt, ist es, als säße man an einer Klippe und würde die letzte Tüte Marshmellows essen, während am Horizont ein alles verschlingender Feuerball wütet. Als die frenetisch gefeierten Beastmilk sich 2015 selbst zu Grabe trugen, entstieg aus dem düsteren Loch die Neuformation namens GRAVE PLEASURES und mit ihrem Album „Dreamcrash“ gelang der Post Punk Combo erneut, dieses geniale Endzeitgefühl einzufangen, das die Freude an der Apokalypse vertont. Doch jener morbide Spaß ist keine Werbefassade. Beobachtet man den kleinen, 37-jährigen Briten, wie er an seinem schwarzen Kaffee nippt und mysteriös vor sich hingrinst, wird schnell klar, dass seine Musik aus den tiefsten Windungen seiner Adern stammt und er in der Tat einer der letzten Künstler der Romantikepoche ist. Oder wie er es selbst sagen würde: A morbid motherfucker.
Sound Infection: Euer Album beginnt mit der Songzeile „I am an alien on my own planet“ und genau das scheint den Geist von GRAVE PLEASURES einzufangen – ihr genießt es, anders zu sein und das Gefühl scheint dich schon lange zu verfolgen. Wann fühltest du dich erstmals fehl am Platze in dieser Welt?
Kvohst: Ich glaube, ich habe mich schon immer so gefühlt und vermutlich ist das eine sehr menschliche Sache. Man ist immer auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage ,wer man ist und wo man hin möchte und so soll es ja auch sein. Ich fand es aber sehr interessant, diese Tatsache auf dem Album aus der Ich-Perspektive zu betrachten und die Problematik zu diskutieren. Wir nehmen dieses Fremdheitsgefühl und den Nihilismus und feiern ihn regelrecht in unserer Musik. Sicher ist die Grundstimmung sehr düster, aber am Ende auch wohltuend.
Treibt dich das Unglücklichsein beim Songschreiben denn an und glaubst du, dass du bessere Musik hervorbringst, wenn es dir schlecht geht?
Schlecht gehen vielleicht nicht, nein. Aber ich denke, dass Musik immer einen Kampf braucht. Es muss einen Konflikt und eine Reaktion darauf geben – und so hat alles, was ich tue einen Auslöser und eine Reaktion darauf und das finde ich wichtig. Wenn Leute einfach nur des Erschaffenswillens wegen erschaffen, fehlt der Kunst gern der tiefere Sinn. Und jede Musik sollte ihre eigene Bedeutung haben. Aber ich denke auch, dass allein mit dem Künstlerdasein eine gewisse Unglücklichkeit einhergeht – man ist nie zufrieden und muss immer wieder neues schaffen, weil die Welt einem nie komplett genug erscheint und ihr immer noch ein Teilchen im Puzzle fehlt. Das kommt wohl mit dem Musikerleben im Doppelpack.
Hat das Musikerleben dich denn immer erfüllt (oder war es letztendlich eine Art „Dreamcrash“, höhö)? Letztendlich ist es ein schwieriges Leben, man ist nie Zuhause, und wie du schon sagtest, man fühlt sich niemals komplett und zufrieden. Hast du dir das „Rockstarleben“ denn so vorgestellt oder war es eine Art Schock, als du mit Beastmilk plötzlich in kürzester Zeit so einen massiven Erfolg hattest?
Ja, nein… schon ein wenig, aber ich schätze, es ist Teil dieses Leids, das man für seine Musik braucht. Und letztendlich ist es jede Sekunde wert, egal wie schwierig sie dir vorkommt – denn man lernt so viel über sich selbst und über die Welt. Wo sind deine Grenzen, wie sehen deine Träume aus? Und wo ist dein „Dreamcrash“ und was findest du in den Trümmern, wenn deine Träume zerbrochen am Boden liegen? Das war einfach eine sehr wichtige Frage für uns, da ja bekanntlich viele Dinge in der Vergangenheit bei uns schiefgegangen waren und nach all dem entdeckten wir eine Art Erleuchtung. Man lernt immer sehr viel durch grausame Wahrheiten und Sachen, die schief laufen, also finde ich, dass es das letztendlich wert war.
Ihr beschreibt eure Musik unter anderem als „Apocalyptic Death Rock“ – wie stellst du persönlich dir die Apokalypse denn vor?
Ich glaube, da werden mehrere Faktoren zusammenkommen, ich bin persönlich aber auch ein großer Fan des Prepping und Survivalist Kults… in Finnland hat man vermutlich das größte Überlebenspotenzial, wir haben Berge, auf die wir uns im Fall einer Flut retten können, viel freies Land und wenig Menschen. Und wenn ich Zeit habe, schaue ich Dokus oder lese Bücher über Prepping, also das Vorbereiten auf den Weltuntergang quasi – manche Leute haben ja ganze unterirdische Städte gebaut, Schulbusse in einem Berg zu Häusern umgestaltet, es gibt viele Leute, die das verdammt Ernst nehmen und das ist interessant, denn offenbar bereitet sich jeder auf eine andere Form der Apokalypse vor und keiner weiß natürlich, was genau passieren wird. Ich persönlich glaube aber, dass mehrere Faktoren zusammenkommen werden: Kriege, Migration ganzer Völker, Naturkatastrophen… Es wird natürlich nicht so schnell passieren, dass die ganze Menschheit ausradiert wird, aber früher oder später… wer weiß. Mann, es ist echt schwierig, darüber zu reden, ohne wie ein konspirativer Vollidiot zu klingen (lacht) Aber wenn man sich nie darüber Gedanken macht, was man in einer solchen Situation tun würde, dann ist das naiv – denn wenn du dir die Geschichte anschaust, wirst du merken, dass es nie lange Perioden ohne große Kriege gegeben hat.
Schaust du denn weiterhin Nachrichten? Und falls ja, beeinflusst dich die Flut an Bildern auch künstlerisch? Deine Liedtexte scheinen ja trotzdem eher von persönlichen Dämonen gezeichnet…
Ja, ich schaue nicht auf spezifische Events, sondern verarbeite eher das allgemeine Gefühl. Jeder scheint in einer apokalyptischen Stimmung zu sein und ständig zu fürchten, dass etwas Schreckliches passiert. Niemand glaubt mehr daran, dass unsere von Menschen erschaffene Technologie uns jemals noch retten kann. Und dieses Gefühl möchten wir festhalten, denn jeder scheint ja auch anders damit umzugehen. Wo passe ich eigentlich hin, in dieser Endzeitwelt? Bei Beastmilks „Climax“ war die Frage, die wir stellten „Wo bist du, wenn die Welt zerbricht?“, während GRAVE PLEASURES‘ „Dreamcrash“ ein eher persönliches Level annimmt – es spielt quasi nach der Apokalypse und fragt, wo genau man mit seinen Gefühlen steht, wenn alles um einen herum zu Schutt und Asche zerlegt wurde. Die Detonation der Atombombe versus die Stimmung, die aufkommt, wenn der Staub sich wieder legt.
Das ist harter Tobak, aber ich denke, dieses Gefühl habt ihr wirklich gut eingefangen. In welchen Situationen schreibst du denn solche Musik, brauchst du ein gewisses Setting, um in die nötige Stimmung zu kommen oder schreibst du einfach drauf los?
Ich tue das, was gerade nötig ist. Manchmal ist es eine wirklich romantische Situation, in der ein Song entsteht, oftmals aber auch nicht, es kommt immer auf den Track an. Aber ich habe kein festes Ritual zum Schreiben und sage mir nicht „So, für dieses Lied muss ich aber wieder die Kerze an meinem Altar anzünden!“ – gelegentlich ist es aber trotzdem klischeehaft und ich brauche das dann auch, dass ich eine gewisse Atmosphäre erzeuge und dann loslege. ‚Crisis‘ wurde beispielsweise so geboren. Wenn du dir das Thema des Songs anhörst… es ist, als hätte ich für einige Zeit in der Welt dieses Lieds gewohnt. Man liest sich immer mehr in ein Thema ein, führt immer tiefere Diskussionen darüber mit den anderen Bandmitgliedern. ‚Girl In A Vortex‘ entstand auch aus einem Buch und den anschließenden Gesprächen darüber, man recherchiert, sucht verschiedene Blickwinkel…
‚Girl In A Vortex‘ ist ein interessantes Beispiel – es scheint sich dabei um die Schwierigkeiten zu drehen, denen Frauen in der heutigen Gesellschaft ausgesetzt sind. An sich kein neues Thema, aber ich fand extrem spannend, einen Song darüber von einem Mann geschrieben zu hören.
Ja, genau. Ich habe alles versucht, um dieses Thema glaubwürdig anzugehen. Ich bin mit zwei älteren Schwestern aufgewachsen, wir haben ein Mädchen in der Band und ich versuche oft, mich in ihre Haut zu versetzen… denn selbst heute noch geht jenes DNA-Set mit vielen Konflikten und Druck von Seiten der Gesellschaft einher, aber dennoch werden sie selten glaubhaft in Songs dargestellt. Seit The Smiths mit ihrer Gefühlswelt aus der Sicht von Männern aufkamen, brach eine gewaltige Flut an Bands los, die das ebenfalls tat. Aber ich wollte bei dieser Sache eine komplette Kehrtwendung machen und mich als Mann fragen, wie es eigentlich ist, ein Mädchen zu sein. Denn die meisten Rockbands haben immer noch etwas sehr Frauenfeindliches an sich… nur nackte Brüste und Bier und das war’s.
Nach dem Untergang von Beastmilk und dem Entstehen von GRAVE PLEASURES gab es gigantische Reaktionen auf allen Social Media Kanälen – zugegeben, mittlerweile erzeugt ja alles, was man tut eine Flut an Leuten, die dringend ihren Senf dazu im Internet abgeben müssen… wie ging es dir damit in dem Moment, hast du die Fanreaktionen verfolgt oder war es dir lieber, dich völlig abzuschotten?
Ich denke, es ist eine Lüge, wenn Leute behaupten, dass sie keine Reviews oder Fanreaktionen lesen… man sollte sich davon natürlich nicht umhauen lassen, aber trotzdem ist es auch sinnvoll, manche Reaktionen auf sich wirken zu lassen. Schließlich rede ich auch am Merchstand mit Leuten nach dem Konzert, da finde ich es nur fair, gelegentlich im Internet von den Leuten zu lesen, warum sie vielleicht nicht mehr zu unseren Konzerten kommen wollen. Aber in die Kunst einfließen tut das nicht, wir machen immer noch, was wir machen möchten und das ist wichtig. Egal, was die Hater sagen, wir müssen uns weiterentwickeln und wollen niemals dasselbe Album zwei Mal produzieren. Aber wenn du eine Band zu Grabe trägst oder deinen Namen änderst, wird es immer Enttäuschte geben, denn viele mögen keine Veränderungen. Aber für mich ist das das Wichtigste überhaupt. Sieh dir Ulver an, an ihnen muss man lieben, dass sie sich mit jeder Scheibe neu erfinden, während wiederum andere Bands immer so bleiben sollen, wie sie sind, das gebe ich zu. Aber in der Kategorie sehe ich Beastmilk oder Grave Pleasures nicht, wir wollen keine stumpfe Achtziger Band sein, die diesen Stil immer neu aufkocht. Aber egal was du tust, es gibt immer welche, die unglücklich mit einer Entwicklung sind.
Um mal die Hater aufzugreifen: Hattest du nicht Angst, mit Tribulation und Vampire zu touren, da dies Bands doch um einiges heavier sind? Ich schätze euer Spirit ist derselbe und deshalb passt das Line Up, aber dennoch gibt es ja immer viele engstirnige Leute in der Extreme Metal Szene.
Bisher lief alles gut, mal sehen, wie es beim Rest der Tour wird. Aber mich und auch die anderen Bands reizte es sehr, diese Kombination auszuprobieren, da man hier nun austesten kann, wie weit man innerhalb der Szene gehen kann. Wo sind die Toleranzgrenzen? Ich denke aber, dass die Szene einen sehr offenen Geist hat und das wird selten gewürdigt. Alle drei Bands legen großen Wert auf Songwriting, verbinden viele Einflüsse und stecken enorm viel Leidenschaft in ihre Musik und da ist wohl der gemeinsame Knotenpunkt von Tribulation, Vampire und uns.
Gibt es ein Ziel, das du als Künstler verfolgt? Ich meine nicht finanziell, sondern ein spirituelles oder geistiges Ziel in deinem Leben.
Ja und nein. Man jagt immer dem Gedanken „Mission erfüllt“ hinterher, aber erreicht ihn doch nie. Die Ziele verändern sich ja auch immer – erst will man einfach nur ein Label finden und seine CD an den Mann bringen, aber sobald man das hat, muss man sich etwas Neues suchen. Aktuell lebe ich für diese Beziehung zwischen Musiker und Zuschauer. Als wir in Polen spielten, kam ein Typ zu mir, der erzählte, wie unzufrieden er mit seinem Leben und seiner Arbeit ist, aber jeden Morgen auf seinem langen Weg zur Arbeit hört er unsere Platte und meint, er würde sich wie an einen anderen Ort versetzt fühlen. Könnte alles um sich herum vergessen. Beinah, als ob wir physisch für ihn da wären. Und genau dieses tröstende Gefühl ist es, was ich früher auch immer aus Musik mitgenommen habe, sodass es mich nicht nur enorm ehrt, sondern mir auch den Eindruck gibt, ich könne zurückgeben, was mir einst gegeben wurde. Der Kreis schließt sich. Und für so etwas lebe ich, es gibt alles einen Sinn und man hat das Gefühl, dass man die Welt ein wenig im Gleichgewicht hält. Wenn Leute nicht damit weitermachen, Geschichten zu erzählen, stirbt die Musik aus. Und das darf nicht passieren. Klar wird heutzutage viel über die finanzielle Seite in der Musik geklagt und dass es kein Geld mehr zu holen gibt, aber ich bin der Meinung, Musik und Geld passt sowieso nicht zusammen. Das darf es gar nicht.
Mat, vielen Dank für die intensiven Worte – zum Abschluss noch was ganz Simples: Hast du den neuen Star Wars gesehen?
Ha, das ist lustig, der Film passt gerade enorm gut zu unserem „Dreamcrash“-Konzept. Denn er ist im wahrsten Sinne des Wortes für mich gecrasht – als ich im Kino saß, sprang plötzlich der Feueralarm los, wir mussten alle aus dem Saal evakuiert werden. Und als es dann endlich weitergehen konnte, fanden sie die Stelle, an der wir im Film aufgehört hatten, nicht mehr, sodass sie zu weit vorspulten und uns Sachen zeigten, die wir noch gar nicht gesehen hatten – ach, der ganze Film wurde mir dadurch versaut. Und deshalb hasste ich ihn. Abgrundtief. Es war, als würde man sich mit einer Exfreundin treffen, in die man immer noch verliebt ist und die dich brutal herunterzieht. Man fühlt sich nur noch miserabel und als würde man von der Vergangenheit eingeholt. Aber… ich gebe zu, dass es einfach nur daran gelegen haben könnte, dass der Film durch das Kino ruiniert wurde. Aber es passte trotzdem prima zu unserer Band: Nichts klappt und wie Morrissey einst sagte… Wir sind dazu verdammt, depressiv zu sein! (lacht)
Interview: Anne Catherine Swallow