Gelegentlich braucht man für Interviews auch Stunterfahrung. Zumindest wenn man kurz vor Bremen in einem undurchdringlichen Stau steckt und genau weiß, dass man es niemals pünktlich zur Konzerthalle schafft, bei der die Münchner Black Metal Berserker von WOLVES DEN theoretisch schon ungeduldig auf die Uhr tippen müssten. Aber manchmal hat man eben Glück im Unglück. Denn auch die Band, die sich mit ihrem Debütknaller „Deus Vult“ erstmals in die norddeutschen Landbereiche begibt, steht mit ihrem Wohnmobil im Stop-And-Go-Verkehr, sodass ich meine Bruce Willis Gene entdecken und heldenhaft über den Standstreifen der Autobahn hoppeln darf, um mehr oder weniger rechtzeitig in den fahrenden Untersatz der Band zu springen. Begrüßt wird man mit einem herzlichen Veltins und der trockenen Frage „Stinkt’s hier drin eigentlich? Wir merken das nicht mehr so…“.
Die Truppe von Anfang an zu lieben fällt deshalb nicht schwer – nicht nur, weil sie mit ihrem rasant-epischen Black Metal Sound zu eine der größten Hoffnungen des deutschen Untergrunds gezählt werden können, sondern auch weil sie trotz ihres höllischen Klangs einen unbändigen Humor an den Tag legen und vielleicht zu einem der wenigen verbleibenden Acts zählen, die das Rock’n’Roll-Klischee noch inbrünstig leben – aber seht selbst, was Gitarrist Mexx, Frontkreischer Helge Stang und Drummer Manuel Di Camillo zu erzählen hatten:
Sound Infection: Ihr organisiert euch bislang noch komplett selbst, habt euer Album in Eigenregie ohne Labelunterstützung herausgebracht und bucht jede Show eigenhändig – was seht ihr als großen Vorteil und habt ihr manchmal auch die Schnauze voll davon?
Helge: Du bist natürlich dein eigener Chef, was immer gut ist. So weiß man wenigstens, wo die spärliche Kohle hinfließt und du siehst selbst, ob sie nun in einer neuen Klampfe endet oder in einem neuen Backdrop. Auf der anderen Seite bleiben manche Türen natürlich zu. Wenn du keinen Labelcode auf der Platte hast, ist es schwieriger in den Versand reinzukommen und das Album großflächiger anzubieten.
Mexx: Wir arbeiten ja alle noch Vollzeit neben der Musik und manchmal wäre es schon schön, da in manchen Bereichen entlastet zu werden. Du kommst nach Hause, hast den Kopf von der Arbeit voll, aber musst dich trotzdem noch um viel Organisatorisches kümmern. Ohne helfende Hand ist die Belastung teilweise enorm.
Helge: Insbesondere stehen da auch Dinge auf der To-Do-Liste, die man erst mal können muss. Wir können ja eine Menge, haha, aber wenn es dann darum geht, ständig Leute vollzuquatschen und Kontakte aufzubauen, stößt man an seine Grenzen und wir denken uns dann auch manchmal: Wenn man nichts zu sagen hat, einfach mal die Schnauze halten (lacht)
Ihr habt ja eine herrliche Story aus der Nacht, in der ihr beschlossen habt, die Band zu gründen [„Irgendwann saßen wir dann in meiner Bude bei Kerzenschein, Shisha und Schnaps. Nach der x-ten Flasche Fusel, die Klampfen auf Anschlag, war klar, dass wir jetzt eine Band starten müssen. Mein cholerischer Nachbar fand unseren Sound scheinbar auch total geil: Der war völlig auf Stress aus! Mit dem Ergebnis, dass es von irgendwoher tote Vögel und Pisse auf seinen Balkon regnete.“ – Legacy Interview] – wie ist mittlerweile euer Verhältnis zum Nachbarn?
Mexx: Das war mein Ex-Nachbar, ein totaler Psycho! Der wollte meiner Nachbarin sogar mal die Tür eintreten, aber das ist eine andere Geschichte.
Helge: Der schrie aus der Wohnung plötzlich hoch, dass wir das Maul halten sollen, weil er auf Entzug ist! Mann, der war total cool. Aber das ist halt Downtown München, wo man eigentlich Schickeria erwarten würde, aber nein, überall nur Assis. Mittlerweile wohnen wir allerdings zusammen in einer WG, also Mexx und ich.
Oh Gott, funktioniert die Kommunikation dann dementsprechend nur musikalisch?
Helge: Nö, wir schreiben uns aber immer Nachrichten gegenseitig, weil wir zu faul sind aufzustehen und es so weit zu laufen ist.
Mexx: Ja, wir haben einen unmenschlich riesigen Flur – wie eine Kegelbahn – der überhaupt nicht benutzbar ist. Da hängt nur Wäsche in der Gegend und es fliegen stapelweise CDs herum.
Helge: Es ist wirklich zu weit, um rüber zu rufen, das hörst du nicht, wenn einer brüllt. Ansonsten ist es eben eine typische Band-WG. Es sieht aus, wie in einem Thomann Laden mit Kartons, Klampfen an der Wand und jeder Menge Schnaps. Sehr beschaulich.
Mexx: Dementsprechend nehmen wir aber auch alles an Musik bei uns Zuhause auf – sehr zum Leidwesen der Nachbarin. Unser „Studio“-Zimmer grenzt leider direkt an ihr Arbeitszimmer, was wir nicht wussten und irgendwann klopfte und klingelte es panisch und es hieß „Äh… Könnten Sie bitte ein bisschen leiser musizieren?“.
Helge: Ja, ich hatte morgens auch richtig Gas gegeben, schon drei Songs eingesungen und als ich Essen gehen wollte, hatte ich einen netten Brief an der Tür. Auch wenn die Bude relativ gut gedämpft ist, bleibt es eben ein Altbau. Etwa ein Jahr später hat die Nachbarin dann selbst mal Besuch gehabt und in dem Zimmer angrenzend zu meinem saßen eben die Leute und auch wenn ich nicht jedes einzelne Wort verstehen konnte, war doch gut zu hören, wie viele sich dort unterhielten – und die haben wirklich nur auf Zimmerlautstärke geredet, nicht wie ich damals, der sich die Seele aus dem Leib gebrüllt hat! Seitdem habe ich aber auch die Handynummer der netten Nachbarin und immer wenn sie gerade Mittagspause hat, sehe ich zu, dass ich fix die Gesangsaufnahmen erledigt kriege und den Rest der Zeit spiele ich nur Bass.
Religionskritik und Tod sind die wichtigsten Themen, die auf eurem Album „Deus Vult“ immer wieder hervorstechen, aber gerade wenn es ums Ableben geht, hört man bei vielen Songs einen gewissen „Memento Mori“-Nachklang, als wolltet ihr sagen: Erledigt alles, was ihr könnt, solange ihr es könnt. Auch wenn ihr merklich nicht religiös veranlagt seid, glaubt ihr dennoch, dass nach dem Exitus noch etwas kommen könnte?
Helge: Nee, da ist Puff.
Mexx: Ich kann da auch wenig daran glauben. Natürlich schließt man es nicht aus, aber ich will jetzt nicht mein ganzes Leben damit vergeuden, indem ich mir über so etwas den Kopf zerbreche.
Helge: Wir schieben ja vieles auf die lange Bank, aber wenn es um den Spaß und die Nutzung der Lebensgeister geht, erledigen wir das alles lieber schnell und sofort – da müssen wir nicht bis zum möglichen Paradies warten!
Apropos Nutzung der Lebensgeister: Was hat die „Wielder Of Storms“-Tour denn bisher an fiesen Partystories zu bieten? Oder Festivalcampingplätze sind ja auch ein klassischer Schauplatz für Schandtaten…
Mexx: Haha, wenn wir das aufrollen, stünden wir vermutlich morgen noch da… Viele von den Sachen weiß man ja gar nicht mehr, weil man zu betrunken war.
Manu: Der Anfang der Tour eignet sich aber eigentlich auch schon ganz gut, wenn man darüber nachdenkt..
Helge: Oh ja – das hatte zwar nicht einmal direkt etwas mit uns zu tun, aber letzten Samstag saßen wir noch Zuhause, haben richtig viel geprobt, uns aufgenommen und vorbereitet, alles ganz vorbildlich… und abends waren Behemoth in München. Da mussten wir natürlich hin. Ich wollte dann auch brav früh nach Hause gehen, da wir Sonntag weiter proben wollten, aber Mexx beschloss noch zu bleiben. Und am nächsten Morgen sehe ich ihn aus seiner Tür herauskommen, die Hand verbunden und er murmelt nur was mit „Ja, ich war irgendwie gestern Nacht noch im Krankenhaus…“
Mexx: Ja, ich wurde kurz vor der Tour noch mit vier Stichen an der Hand genäht, weil ich vermutlich in eine Flasche gefallen bin… in ein Glas… ehrlich gesagt, keine Ahnung. Jedenfalls war das Timing ganz großartig, aber alles funktioniert mittlerweile wieder, keine Sorge. Aber es war natürlich ein großer Dämpfer und Schock und wir wussten im ersten Moment nicht, ob wir die Tour nun weiterhin spielen könnten, aber zum Glück zeigte sich die kommenden Tage, dass das kein Problem sein würde. Immerhin ist meine ganze Lederhose noch voller Blut…
Helge: Nachdem Manu sich auch mal nach drei Tourtagen mit Pfeifferischem Drüsenfieber für einen Monat abgemeldet hat, sind wir da nicht mehr so leicht zu schocken!
Manuel: Ihr habt aber trotzdem weitergemacht und ein bisschen mit einem Drumcomputer geschummelt.
Bleiben wir mal beim Thema Blut… obwohl ihr ja Black Metal spielt, seid ihr keine Band, die Wert auf Corpsepaint oder Tierkadaver auf der Bühne legt. Stand das nie zur Debatte?
Mexx: Ich finde es toll, wenn es zur Band und ihrem Sound passt und stehe da wirklich drauf, muss ich zugeben. Aber bei uns gehört das nicht zwingend ins Konzept, finde ich.
Helge: Das Pendel schwingt ja auch in die andere Richtung… Wenn jemand auf der Bühne steht und sich anmalt, es überhaupt nicht dazu passt und er nur Partystimmung und Mitklatschen von seinem Publikum verlangt, ist das natürlich nicht so geil. Man stößt dabei jeder Sorte von Fans vor den Kopf. Die, die auf fröhlichere Musik stehen, fragen sich, warum die Musiker so komisch schwarzweiß angemalt sind und die, die total auf Corpsepaint abfahren, wundern sich, warum die Musik nicht so brutal ist, wie man sie erwarten würden. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Mexx: Wir haben uns auch damals nicht mit dem konkreten Ziel gegründet, eine Black Metal Band zu sein. Das entstand aus mehreren Einflüssen und hat sich letztendlich so ergeben. Aber wir sehen uns nicht als strikte Black Metal Band.
Wie weit habt ihr das Konzept von WOLVES DEN demnach schon in die Zukunft gesponnen – euer Album ist nun bald ein Jahr lang auf dem Markt, habt ihr bereits neue Songs in der Schublade oder komplett andere Ideen?
Mexx: Ja, es sind bereits Songs in der Mache und alles setzt sich nach und nach zusammen. Aktuell haben wir aber noch ein anderes Projekt, das ein bisschen Priorität hat…
Helge: Ach, das läuft parallel. Aber Mexxchen konzentriert sich jetzt erst mal aufs Songschreiben. Und wir haben vor drei Wochen ein Musikvideo gedreht… lustigerweise haben Craving ihr Video zur selben Zeit gedreht und ihres ist bereits online, während es bei uns noch länger dauert. Es ist halt etwas… auuuuusführlicher. Und es muss noch einiges an ChiChi bei dem Clip gemacht werden, bis wir damit glücklich sind – aber es ist ein riesiges Projekt, bei dem wir letzten Sommer bereits mit der Planung angefangen haben. Mehr will ich aber noch nicht verraten.
Macht die Tatsache, dass ihr alle vorher in anderen Bands gespielt habt, euren Job mit WOLVES DEN leichter oder schwieriger?
Mexx: Wir hatten ja die Chance, komplett neu zu beginnen und da wir jahrelange Erfahrung mitbringen, konnten wir im Vorfeld schon sehr viele Anfängerfehler vermeiden. Das macht es natürlich geschmeidiger.
Helge: Wir wurden auch noch nicht dreist gefragt, ob wir Equilibrium Songs spielen können [Anm.d.Red.: Helge und Manuel gehörten beide zum Ur-Line-Up von Equilibrium], aber ich denke eh, dass WOLVES DEN ein anderes Klientel anspricht. Klar kommen häufiger noch Leute auf mich zu und rufen „Hey geil, ich kenn‘ dich noch von Equilibrium! Aber was ihr jetzt macht, ist ja viel gereifter, viel härter!“ und das stimmt auch. Aber es schadet ja nichts und es ist doch gut, wenn Leute über solche Umwege unsere aktuelle Band kennenlernen und ihr somit vielleicht eher eine Chance geben. Man muss sich auch nicht ständig selbst auf dem Fuß stehen und jammern „Nein, guck mich nicht an, ich bin gar nicht da!“. Dann könnten wir es auch gleich lassen. Willst du Konzerte spielen und die Hütte füllen oder lieber Zuhause vor dich hinklimpern? Wir haben uns eben für die Hütte entschieden. Und was die jahrelange Erfahrung angeht, hilft es natürlich wirklich, wenn du einen fähigen Schlagzeuger an Bord hast, der sogar mal zwei Snaredrums mit auf Tour nimmt, nur um sicher zu gehen. Kürzlich haben wir mit einer Band gespielt, bei der der Schlagzeuger völlig ohne Snare kam – was ist also besser? (lacht)
Manuel: Ja, das sind solche Erfahrungswerte, die einem das Leben viel stressfreier gestalten können, gerade bei kleinen Touren, wo immer mal etwas schiefgehen könnte. Auch die Arbeitsaufteilung ist fest geregelt und es gibt weniger internen Ärger wegen Kleinigkeiten.
Helge: Genau, jeder macht das, was er kann, sowohl beim Aufbau der Bühne als eben auch abseits. Man muss einfach nur wissen, wer in welchen Bereichen gut ist.
Alles klar, danke Jungs! Wollt ihr zum Schluss noch etwas Lebenswichtiges loswerden?
Helge: Öh… ich will meine Oma grüßen.
Interview: Anne Catherine Swallow
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