Autoren in einem Musikmagazin? Was zuerst wie eine unfreiwillige Verirrung aussieht, passt eigentlich besser als Bild, als man denkt, denn dieses Interview entstand nicht auf dem verstaubten Dachboden eines Kleingoethes, sondern direkt in der Raucherlounge der Hamburger Metal Dayz, wo Wolfgang Hohlbein am 19.September sein fantastisches, gruselgeladenes Werk „Irondead“ bei einer Lesung zum Leben erweckte. Herrn Hohlbein vorzustellen, ist kaum mehr nötig, da seine Romane, allen voran „Die Chronik der Unsterblichen“ längst Kultstatus erreicht haben und der langhaarige 61-Jährige von seinen etwa 200 (!) geschriebenen Werken über 40 Millionen Exemplare (!!) unter die Menschheit gebracht hat. Abgehoben oder arrogant macht ihn dies aber noch lange nicht. Im Gegenteil. Völlig unauffällig mischt er sich auf dem Hamburger Festival unter die Menge, nippt an einem Bier und seiner elektronischen Zigarette, schwärmt über das Finale von „Breaking Bad“ und seinen Bluetooth-Füller, der ihm erlaubt, weiterhin all seine Werke mit Tinte auf Papier zu schreiben, aber gleichzeitig den Text auf den Computer zu übertragen. Wir entführten den „deutschen Stephen King“ kurz vor seiner Autogrammstunde oder noch besser: Ließen uns von ihm in seine fantastische Welt von Vampiren, Halbgöttern und Titanicerbauern entführen.
Sound Infection: Es passiert ja leider nicht allzu häufig, dass große deutsche Autoren auf Metalfestivals zum Lesen vorbeischauen – aber Sie fallen mit Ihren langen Haaren und der schwarzen Lederjacke kaum auf und haben auch schon viel innerhalb der Szene gemacht, wie mit Manowar zusammengearbeitet und unzählige deutsche Bands mit Ihren Romanen beeinflusst. Aber mal ganz konkret gefragt: Haben Sie einen Bezug zu den Bands, die heute hier spielen, wie Edguy oder Dark Tranquillity?
Wolfgang Hohlbein: Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich viele der Bands hier heute gar nicht kenne, die großen natürlich schon, aber die anderen muss ich heute erst einmal kennenlernen! Aber ich wurde ganz direkt gefragt, ob ich heute hier lesen möchte und da mir die Musik natürlich generell sehr zusagt, ich die Szene liebe und gern auch auf Konzerte gehe, habe ich natürlich begeistert zugesagt. Außerdem versuche ich seit drei Jahren Karten für Wacken zu kriegen und bin jedes Mal zu spät..!
Das nur über Connections laufen zu lassen finde ich doof, aber langsam bleibt einem ja keine andere Möglichkeit… ich habe direkt am nächsten Tag nach Wacken versucht, Tickets zu ergattern, aber bin nicht einmal mehr auf die Seite gekommen!
Sie produzierten Ihre Romane ja regelrecht am Fließband und haben so viel veröffentlicht, dass man mit Lesen kaum hinterherkommt – fällt es Ihnen als Autor nicht schwer, Ihre Protagonisten so schnell zurückzulassen und Neue zu erschaffen? Oftmals entwickeln Schreiber schließlich eine enge Bindung zu ihren Charakteren und haben Schwierigkeiten diese ziehen zu lassen, um sich einem neuen Projekt zuzuwenden.
In jeder Figur ist ein bisschen von mir selbst drin und man muss sich einfach mit ihr identifizieren, sonst geht es nicht. Deshalb würde ich auch nicht sagen, dass ich sie jemals aufgebe, denn im Grunde genommen ist es jedes Mal der Gleiche. Immer bin es in verschiedenen Facetten ich, mal so wie ich gern sein möchte, mal so wie ich um Gottes Willen niemals werden will, mal doofer, mal schlauer. Aber – so schwülstig das jetzt klingt – wenn man nicht in jeden Protagonisten etwas von sich selbst hineinpackt, kriegt man ihn niemals zum Leben erweckt, das geht einfach nicht. Das merken die Leser sogar noch schneller als ich.
Gut, manchmal vergesse ich auch, was ich geschrieben habe, mache einen Fehler oder bringe etwas durcheinander, aber bei 200 Büchern mag man es mir hoffentlich verzeihen, dass ich nicht jedes auswendig kenne. Dafür gibt es ja Leute, die darauf achten und mich immer wieder auf den Teppich holen.
„Thor“ war ja lange Zeit einer Ihrer Babys, seit den letzten Jahren wird die Figur jedoch hauptsächlich mit Marvel in Verbindung gebracht – wie stehen Sie zu diesem Boom und gefallen Ihnen die neuen Comicverfilmungen?
Es ist ganz seltsam, als Kind und Jugendlicher habe ich die Comics verschlungen und später dann das Buch geschrieben, aus dem ja auch die Kollaboration mit Manowar entstanden ist. Und während ich gerade daran gearbeitet habe, erfuhr ich, dass Marvel einen Film dazu dreht und habe noch herumgewitzelt, dass Hollywood endlich mal Werbung für mein Buch macht… Ich muss gestehen, ich hatte Vorurteile und dachte, das kann ja nichts werden. Viel zu kitschig bunt und hollywood-typisch eben. Aber ich habe mich eines Besseren belehren lassen und muss sagen: Ich finde die Filme klasse! Mein Lieblingscharakter ist aber Loki, nicht Thor! Der ist so schön böse!
Ja natürlich, Loki ist auch viel komplexer und spannender als sein Bruder! Das ist ja bei Comics leider oftmals etwas eindimensional gehalten, dass die „Bösen einfach nur böse“ sind, das trifft auf Loki Gott sei Dank nicht zu.
Es gibt auch in der Realität niemanden, der nur böse ist, genau wenig wie jemanden, der nur gut ist. Selbst der größte Verbrecher hat sicherlich irgendwo gute Seiten… wenn ich das so sagen darf, vermutlich hat auch Adolf Hitler seinen Hund geliebt. Wahrscheinlich NUR ihn, aber ich will damit auch nur sagen, dass jeder Mensch etwas von beiden Seiten in sich trägt, garantiert hatte auch Gandhi Dinge an sich, über die er nicht gern sprach. Aber das ist nur menschlich, sonst wären wir Maschinen. Was einen Menschen auszeichnet, ist ja nicht, dass er „gut“ ist, sondern, dass er sich jederzeit frei entscheiden kann. Vermutlich muss jeder zugeben, dass es auch manchmal Spaß macht, gemein zu sein. Und solange man das nicht überreizt und jemandem damit wirklich weh tut, ist das ja auch in Ordnung.
Zwar schreiben Sie ausschließlich nachts, dennoch würde mich interessieren, wie Sie es schaffen, sich von der Realität abzuschotten, um so viel schreiben zu können – schließlich haben Sie sechs Kinder, was ja nicht nur viel praktische Zeit in Anspruch nimmt, sondern einen sicherlich auch geistig sehr beansprucht, von den alltäglichen Sorgen, die jeder Mensch hat, ganz zu schweigen. Wie gelingt es Ihnen, das regelmäßig abzuschalten und sich auf Ihre Schreibarbeit zu konzentrieren?
Das war eigentlich relativ leicht, dieses Nachtschreiben kam auch hauptsächlich durch die Kinder und nicht, weil ich gesagt habe, dass ich nur in der Dunkelheit Gruselgeschichten schreiben kann. Wir hatten damals eine relativ kleine Wohnung und ich besaß kein Arbeitszimmer, sodass ich gar keine andere Wahl hatte, als zu warten, bis die Familie langsam eingedämmert ist. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass mir das sehr entgegenkommt und ich habe mich so eingerichtet, dass ich die Nacht durcharbeite bis morgens, dann die Kinder in die Schule bringe und schließlich schlafen gehe. Mittlerweile sind natürlich alle aus dem Haus, aber wenn ich zurückblicke, denke ich, dass ich dadurch viel mehr von der spießigen Familiensache hatte, als so manch anderer, der zu normalen Zeiten arbeitet, denn ich hatte den ganzen Tag Zeit für meine Kinder.
Vampire nehmen einen großen Teil Ihrer Arbeit ein, aber aprechen wir mal über die modernen, glitzernden Vampire von heute! Wenn Sie Edward aus Twilight begegnen könnten, was würden Sie zu ihm sagen?
Das ist ja wirklich mal eine originelle Frage… ich würde ihn vermutlich bitten, mich zu beißen!
Haben Sie es wirklich auf das ewige Leben abgesehen?
Ewig vielleicht nicht, aber noch mal 50 oder 100 Jahre, da hätte ich nichts dagegen. Aber nur, wenn ich nicht so entsetzlich, triefend gut werde, wie er!
Sie nennen das Alte Testament als eine ewige Inspirationsquelle, was ich sehr gut nachvollziehen konnte, gemessen an der hohen Zahl der Massaker und Grausamkeiten, die sich darin aneinanderreihen. Wie erklären Sie sich, dass Leute, die das Alte Testament kennen, Gott weiterhin als gütiges, friedliebendes Vorbild sehen?
Das frage ich mich genauso, wie ich auch immer nicht verstehen kann, wieso einige Moslems sich heutzutage in die Luft jagen, es widerspricht sich einfach. Ich persönlich kenne niemanden, aber gerade in Amerika, wenn man hinter die Kulissen schaut, merkt man, dass die fundamentalen Christen sich wenig von den Islamisten unterscheiden.
Ich trenne das auch ganz streng, ich sehe mich als spirituellen, aber nicht gläubigen Mensch, ich bin seit Langem aus der Kirche ausgetreten, nicht nur um Steuern zu sparen, sondern weil ich niemanden brauche, der mir vorschreibt, wie und an wen ich zu glauben habe. Aber jemand der das Alte Testament liest, merkt nicht nur, dass es ein sehr interessantes Buch ist, sondern eben auch eine Ansammlung von Grausamkeiten. Deswegen verstehe ich nicht, wie man an den ganzen Kram noch glauben kann – ich blende lieber den religiösen Aspekt aus und sehe die Bibel als faszinierende Geschichte, über menschliche Schicksale und Völkerschicksale. Auch glaube ich, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn sich jeder an die zehn Gebote halten würde, denn das sind einfach Verhaltensregeln, die die Menschen innerhalb tausenden von Jahren entwickelt haben, damit es funktioniert. „Du sollst nicht töten“ stimmt also nicht, weil Gott es so befohlen hat, sondern weil Höhlenmensch A gemerkt hat, dass, wenn er Höhlenmensch B totschlägt, dessen Bruder kommt und ihn ebenfalls umbringt. So ist das, denke ich, mal entstanden, das wäre meine Theorie.
Interview von Anne Catherine Swallow!