Wem RICHIE KOTZEN ein Begriff ist (und das sollte er sein!), der weiß genau, dass es kaum etwas gibt, was der Kultgitarrist nicht kann. Sei es mit seinen mittlerweile zwanzig Soloalben, seiner Zeit bei Mr Big und Poison oder jüngstens auch den Winery Dogs, dem Rock- und Blues-Musiker gelingt es einfach chronisch, durch seinen einzigartig rauchigen Gesang und das virtuose Gitarrenspiel in Erinnerung zu bleiben. Leider gönnte er Deutschland auf seiner Tour diesmal nur zwei Sologigs, die sich leider auch noch ziemlich am Arsch der Welt befanden, aber was soll’s, für einen Richie Kotzen fuhr ich auch gern einmal in die Wald-und-Wiesen-Weltstadt Isernhagen, um mit ihm nicht nur ein Duett der unvorteilhaften Nachnamen zu feiern – Swallow meets Kotzen! – sondern auch über Kannibalen, Katy Perry und musikalische Sommercamps zu plaudern.
Sound Infection: Vor ein paar Monaten hast du mit deiner Band The Winery Dogs ein „Sommercamp“ für junge Musiker veranstaltet, wo du mit ihnen zusammengearbeitet und sie gecoached hast – wie kann man sich das vorstellen, war das ein echtes Feriencamp mit Zelten und Lagerfeuer?
Richie Kotzen: Lagerfeuer hatten wir tatsächlich, Zelte habe ich aber keine gesehen (lacht) Wir hatten ein Hotel in der Nähe, wo die meisten übernachtet haben, es war eine wunderschöne Location im Staat New York, mit vielen Farmhäusern, einem Fluss, alles im alten Stil gebaut und sehr naturbelassen. Wir wollten Fans die Chance geben, richtige Einzel-Gitarrenstunden zu nehmen, aber es waren nicht nur die Jungs von den Winery Dogs dabei, sondern auch die Musiker aus meiner Soloband. Es gab Workshops, Seminare, über eine ganze Woche verteilt, oftmals haben wir aber auch einfach nur zusammen gechillt und hatten Spaß. Es war wirklich großartig.
Wie sieht es bei dir selbst aus, du wirst als einer der besten Gitarristen deines Genres gehandelt und bist seit jüngsten Jahren mit deinem Instrument vertraut. Lernst du dennoch immer wieder dazu oder bist du an einem Punkt angelangt, wo du vielleicht gar nicht mehr weißt, was du noch lernen sollst?
Ja, ich lerne die ganze Zeit Neues! Ich finde es auch schwierig, zu sagen, dass man in irgendetwas „der Beste“ ist, woran soll man das auch festmachen, Musik ist etwas Subjektives, das viele Interpretationen zulässt. Aber wenn ich mich selbst anschaue, kann ich nur sagen, dass ich tagtäglich neuen Dingen begegne, entweder wenn ich allein vor mich hin experimentiere oder mit anderen Musikern jamme, eigentlich ist das völlig egal – aber sobald man an einen Punkt kommt, wo man glaubt, man könne schon alles, beginnt man in seiner Entwicklung zu stagnieren und verschlechtert sich nur noch. Dabei gibt es doch chronisch neue Dinge, die man dazulernen kann.
Ich weiß nicht, ob es bei euch in den USA ähnlich ist, aber wir erleben hier – insbesondere in der Metalszene – einen plötzlichen Boom von Blues Rock. Du bist bekannt dafür, dich gern gegen Trends zu sträuben und nie das zu tun, was Plattenfirmen aus kommerziellen Gründen von dir erwarten. Wäre dieser Blues Trend ein Grund für dich, eine komplett neue Stilrichtung einzuschlagen?
Ich sehe mich nicht als Bluesgitarristen. Ich mag einige Blues Sachen, aber bin nicht so sehr darin verankert, dass es mich stören würde – bei uns in den USA habe ich bisher noch keinen Trend in diese Richtung bemerkt, da kommt es eher auf die Region an, in der man wohnt. Du weißt schon, im Süden von Texas, Chicago, da steppt in der Hinsicht der Bär. Wir hatten immer eine aktive Blues-Szene, die versucht, ihre Musik etwas mehr in den Mainstream zu schieben, aber noch fiel mir da keine signifikante Veränderung auf. Aber das wäre großartig, weil es so ein spannender Stil ist, der leider häufig untergeht.
Hast du irgendwelche Guilty-Pleasure-Songs, die du dir anhörst oder vor dich hin spielst, wenn keiner zuhört?
Ach, nicht wirklich. Gut, weil man mich eher als Rockmusiker sieht, werde ich etwas schräg angeschaut, wenn ich sage, dass ich mir gern R&B anhöre und mich das sehr beeinflusst hat, aber dabei fühle ich mich nicht schuldig oder peinlich berührt, ich mag es einfach. Aber lass mich nachdenken… doch, Katy Perry hat einige Songs, die mir wirklich gefallen! Vielleicht fällt das unter „Guilty Pleasure“?
Könnte schlimmer sein, aber das lasse ich einfach mal durchgehen… Besitzen deine Gitarren eigentlich Namen?
Nein! Ich habe keiner jemals einen Namen gegeben, ist das nicht traurig? Aber meist spiele ich auch nur eine Einzige…
Du hast auf der ganzen Tour nur Eine dabei?
Ja. Also Zuhause habe ich natürlich viele andere, aber auf Tour nehme ich nur eine Einzige mit.
Eigentlich bist du der absolute Alleingänger bei deiner Soloarbeit, du schreibst die Songs selbst, produzierst das Album auf eigene Faust und lässt dir vermutlich auch wenig in deinen kreativen Prozess hineinpfuschen – ist es für dich dann kein starker Kontrollverlust, wenn du mit einer Band, sei es den Winery Dogs oder früher Mr. Big, zusammen an Songs arbeiten musst und vielleicht nicht alles nach deinen eigenen Vorstellungen läuft?
Bei den Winery Dogs war das interessant, weil ich letztendlich doch das meiste Material allein geschrieben habe. Aber wir jammten viel gemeinsam im Proberaum, entwickelten Ideen, Gitarrenriffs, und dann setzen wir die Stücke wie zu einem Skelett zusammen. Aber am Ende war ich derjenige, der sich hinsetzte, um die Tracks niederzuschreiben und Lyrics dazu zu finden, also quasi dafür zu sorgen, dass echte Songs bei der Sache herauskamen. Deshalb unterschied es sich im Prinzip gar nicht so viel davon, was ich sonst als Solokünstler tue. Außerdem hatte ich einige Songs auch schon komponiert, bevor die Band überhaupt existierte. Auf dem kommenden Album soll sich das aber ändern und die anderen Jungs möchten mehr im Songwriting verwickelt sein.
Aber bereits vor langer Zeit habe ich mir Eins vorgenommen: Ich werde niemals Musik schreiben, die ich gar nicht machen will. Oder mit Leuten zusammenarbeiten, mit denen die Chemie nicht stimmt. Und solange ich diesem Grundsatz treu bleibe, geht mir auch die Inspiration nicht aus und ich werde mich immer wohlfühlen bei dem, was ich mache. Was würde es mir denn bringen, wenn das, was mir am meisten Freude bereitet zu einer störenden Aktivität wird, der ich mich schon gar nicht mehr zuwenden möchte? Sicher ist es mein Job, aber nicht im klassischen Sinne, weißt du? Denn sobald es sich wie ein „richtiger“ Job anfühlen würde, könnte ich auch gleich alles hinwerfen und mir einen „richtigen“ Job suchen.
Hast du denn jemals neben deiner Musik noch einen herkömmlichen Job gemacht, zu Zeiten, wo es finanziell vielleicht schwieriger wurde – was ja in der heutigen Musikindustrie schnell passiert…
Ich hatte niemals einen richtigen Job! Mit 15 verdiente ich mein erstes Geld als Musiker und durch meinen frühen Plattenvertrag und dadurch, dass ich eigentlich immer auf Tour war, gab es nie einen Grund für mich, einer anderen Beschäftigung nachzugehen. So hatte ich mir das ja auch vorgestellt…
Super – das können heute leider nur noch Wenige von sich behaupten. Du hast ja letzten Monat erst deine Best-Of-Collection „The Essentials“ auf den Markt gebracht, aber dein nächstes Soloalbum steht auch schon in den Startlöchern für Januar und trägt den Titel „Cannibals“. Wie kam es zu diesem Namen?
Ich schrieb einen Song mit diesem Titel. Darin geht es um die Art, wie Menschen regelrecht aufeinander treten und klettern, um in ihrer Karriere voran zu kommen. Ohne dabei auf die Konsequenzen zu achten. Ich spiele in dem Song viel mit Worten und benutze das Bild des Kannibalen für diese Leute, denen völlig egal ist, was mit ihren Mitmenschen passiert, solange sie nur selbst Erfolg haben.
Wir bedanken uns herzlich bei Richie und freuen uns auf 2015.
Interview: Anne Catherine Swallow
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