Aus dem schönen, palmenreichen Florida stammt der fieseste Old School Death Metal und eigentlich weiß keiner so genau warum. Doch neben Deicide und Cannibal Corpse sind auch OBITUARY seit den Achtzigern mit von der Partie, brettern bis die Schädeldecke abfällt und geben den Verdacht ab, dass es vielleicht am Sumpfwasser dort unten liegt. Auf ihrer ausgedehnten Festivaltour durch Europa machten sie auch beim Summer Breeze Halt und Schlagzeuger Donald Tardy sprach mit uns über Crowdfunding, unverständliche Liedtexte und Ted Nugent – aber stets mit einem wachen Auge auf seine Bühnendeko…
Sound Infection: Hi Donald und danke, dass du dich zu ins in den Regen getraut hast – für dich als Florida-Bewohner muss die nasse Kälte hier ziemlich schrecklich sein…
Donald Tardy: Ach, das geht schon – wenn du es chronisch heiß hast, bist du auch mal froh, wenn das Wetter kühler ist.
Ihr habt vor Kurzem das Cover-Artwork zu eurem neusten Album „Inked In Blood“ veröffentlicht und es ist mal wieder richtig fies und blutig geworden – kam die Idee dazu aus euren Reihen oder gebt ihr einfach eurem Designer die Musik und sagt „Mach mal!“?
Ja, es war unser deutscher Künstler, Andreas Marschall, der schon seit Jahrzehnten mit uns arbeitet und wir hatten den Songtitel „Inked In Blood“ schon fertig und gingen damit zu ihm. Er war sofort Feuer und Flamme und meinte, er hätte eine brillante Idee dazu und wenn jemand das schon so sagt, lässt du ihn natürlich seinen Gedanken umsetzen und er hat uns wieder einmal umgehauen.
Es hat diesen klassischen Splatterfilm-Aspekt – lasst ihr euch gern von Horrorstreifen inspirieren?
Die sind nicht so mein Fall, ich schaue generell kaum fern.
Cool, das passiert heute auch nur noch selten, finde ich aber gut! Wie vertreibst du dir dann die Zeit, wenn ihr im Tourbus unterwegs seid?
Wie haben keinen Bus für die Sommerfestivals dieses Jahr, das würde nicht funktionieren, weil die Strecken zu lang und die Zeitabstände zwischen den Shows zu kurz sind. Wir fahren Zug, fliegen, manchmal haben wir auch einen kleinen Van und übernachten tun wir in Hotels. Das ist jetzt nur für die Festivals hier in Europa, für gewöhnlich teilen wir uns einen Tourbus mit einer anderen Band und dabei wird es auch nie langweilig, aber momentan würde ich eh nicht zum fernsehen kommen, wir haben 14 Flüge hinter uns, das war ganz schön stressig…
Crowdfunding spielt für euch eine große Rolle, euer letztes Album wurde komplett von Fanspenden finanziert und ihr seid mittlerweile nicht mehr die einzige Band, die viele positive Erfahrungen mit dem Veröffentlichen von CDs ohne ein Label gemacht hat. Da die Musikindustrie momentan eh im Wandel ist, denkst du, dass vielleicht immer mehr Bands auf Crowdfunding umsteigen werden?
Ich weiß es nicht. Momentan ist es noch nicht etabliert genug, um herausfinden zu können, ob diese Vorgehensweise eine Zukunft hat oder nicht. Wir hatten zwar eine erfolgreiche Campagne, aber leicht war es nicht, weil wir nun natürlich auch unsere Versprechen halten müssen gegenüber unseren spendenden Fans und solange das Album noch nicht fertig gepresst ist, sitzen wir selbst etwas auf glühenden Kohlen. Aber für Obituary war es wohl eine gute Idee – ob ich sie nun blind jeder anderen Band empfehlen würde, weiß ich allerdings nicht. Nicht jeder hat Erfolg damit, nicht alle Fans finden solche Dinge unterstützenswert, es sind viele Faktoren, die berücksichtigt werden müssen. Aber vielleicht haben wir den Weg etwas geebnet für andere Bands, die mit dem Gedanken spielen und ihre Projekte durch Crowdfunding finanzieren möchten.
Haltet ihr es für möglich, dass ihr dennoch eines Tages wieder zu einem Label zurückkehrt oder hat alles so hervorragend geklappt, dass ihr dauerhaft auf eigenen Füßen stehen wollt?
Ich denke, wir werden uns nie wieder auf einen klassischen Record-Deal einlassen. Wir verkaufen einfach nicht genügend Alben, die Leute kaufen nicht mehr so viele CDs, wie es früher der Fall war, es wird uns also nie wieder möglich sein, unseren Lebensunterhalt mit Musik zu verdienen. Deswegen ergäbe es für Obituary keinen Sinn, einen Vertrag über mehrere Alben mit einem Label abzuschließen, das letztendlich eh nur Pennies an uns weitergibt. Wir sehen ja, wie sich die Zukunft der Musikindustrie vor unser aller Augen verändert.
Dennoch könnt ihr euch sehr glücklich schätzen mit euren Fans, denen ja enorm viel an euch liegt, wie sich kürzlich bei der Geschichte mit eurem gestohlenen Backdrop zeigte. Er wurde bei einem Konzert gestohlen und daraufhin bastelte ein Fan von euch einen neuen und brachte ihn vorbei, ist das richtig?
Das Festival, auf dem wir an dem Abend gespielt hatten, war voll von freiwilligen Arbeitern – zu vielen. Jeder lief einfach durch den Backstagebereich wie es ihm gefiel, es war beinah mehr hinter der Bühne los als davor, es gab zwar Leute, die theoretisch die Rolle der Security übernahmen, aber keiner von ihnen war ein Profi, es waren alles nur freiwillige Helfer aus der Stadt – und so passierte es dann, dass jemand unbemerkt mit unserem Backdrop [Anm. d. R.: Der Banner, der im Hintergrudn der Bühne als Dekoration fungiert] durchgebrannt ist. Ich habe keine Ahnung, was er damit bezwecken wollte, zu Zeiten von Facebook wäre es ja sinnlos, stolz ein Bild von dem Diebesgut zu machen und damit online vor allen Freunden anzugeben – so hätten wir das Teil ja schnell wiedergefunden. Aber stattdessen muss er es Zuhause vor jedem verstecken und hat rein gar nichts davon, deswegen verstehe ich den Sinn dieser Aktion nicht. Vermutlich hockte er am nächsten Morgen da und fragte sich, was er damit eigentlich anstellen soll, dieser Idiot. Vielleicht kann er es in zwanzig Jahren mal bei Ebay verhökern, aber da werden wir alle schon 60 sein und vermutlich interessiert es niemanden mehr.
Na toll… Aber Gott sei Dank hat eure Fanbase die Aktion mitbekommen und euch sporadisch ausgeholfen…
Ja, es war kein qualitativ gleichwertiger Ersatz, aber ein Fan gab sein bestes und bastelte uns ein Banner. Nur leider konnten wir nicht damit auf Tour gehen, weil es den Feuerschutzbestimmungen nicht entspricht, aber dennoch: Was für ein cooler Fan, dafür, dass er sich die Zeit und das Geld genommen hat uns auf die Schnelle auszuhelfen! Es war einfach fantastisch, dass Leute mitbekommen haben, wie sehr uns dieser Zwischenfall aus der Bahn geworfen hat, jeder war besorgt, alle versuchten zu helfen.
Abgesehen von der Geschichte, bei welchen Gelegenheiten hast du noch bemerkt, was Fans alles für euch tun würden?
Es hat mich generell sehr berührt, wie groß die Anteilnahme auf den Zwischenfall mit dem Backdrop war, jeder hat sich zu Wort gemeldet, viele haben bei der Suche in Internetportalen geholfen und so weiter. Sicher, es hätte schlimmer kommen können, der Typ hätte unsere Instrumente oder eine Rucksack mit Medikamenten oder dem Pass stehlen können, aber dennoch bedeutet unser Material uns sehr viel und ein richtiger Fan versteht das auch. Metalfans bluten für ihre Bands, das ist unglaublich. Sie zeigen ihre Unterstützung weit mehr als in jeder anderen Szene und das wissen wir zu schätzen.
Ihr seid nun seit fast dreißig Jahren als Band zusammen, dazu gehört sicherlich nicht nur enge Freundschaft, sondern auch Geduld – sicherlich gibt es viel, was euch immer wieder an einander aufregt, doch mal umgekehrt gefragt: Was liebst du an deinen Kollegen am meisten?
Dass sie nichts zu ernst nehmen, insbesondere nicht die Metalszene – es sind keine Typen, die fünfzig Paar Lederstiefel auf Tour mitschleppen, zwanzig Lederjacken besitzen und sich jeden Abend das Gesicht schwarz-weiß anmalen. Wir ziehen uns auf der Bühne nicht anders an, als Zuhause, wir glauben, dass unsere Musik genug aussagt, da brauchen wir keine optischen Hilfsmittel. Und dennoch werden wir regelmäßig zu Festivals eingeladen, weil die Leute auch einfach wissen, dass wir eine tolle Liveband sind, die sich besonders auf die Musik fixiert und immer ihr bestes gibt. Das soll jetzt nicht arrogant rüberkommen – wir glauben nur einfach daran, dass die Fans wissen, was sie von uns bekommen und dass wir unserem Stil immer treu bleiben und auch immer volles Brett bei der Sache sind, einfach weil es uns nach wie vor enorm Spaß macht, live zu spielen und wir es nicht nur aus Geld- oder Vertragsgründen tun.
Nachdem ihr früher überhaupt keine richtigen Liedtexte hattet, sondern einfach wild durch die Gegend gebrüllt habt, wenn ich das mal so sagen darf, schreibt ihr mittlerweile nun doch Lyrics zu eurer Musik – dennoch, wie viel Zeit investiert ihr in das Texten, jetzt im Gegensatz zum Schreiben eures Sounds?
Mein Bruder, der ja die Texte schreibt, fokussiert sich mehr und mehr darauf. Auch auf dem kommenden Album haben wir Lyrics, John entscheidet sich nur meist dafür, die Texte nicht den Fans zu zeigen, er zeigt sie ja nicht einmal mir. Aber seine Vocals werden nun auch verständlicher, mittlerweile kann man sie niederschreiben, auf den ersten Alben war das ja beim besten Willen nicht möglich. Bei den letzten zwei ist es den Fans aber gelungen, so etwa 85% herauszuhören und aufzuschreiben, es ist also nicht mehr ein solches Mysterium wie früher.
Wie stehst du als „alter Hase im Old School Death Metal“ zu neuen Richtungen der Szene, wie zum Beispiel Metalcore?
Ich habe keine Ahnung, ich kenne nicht einmal eine Band, die Metalcore spielt! Ich bin ziemlich ignorant in der Hinsicht, aber für mich ist Metal einfach Metal, die Szene hat sich seit den Achtzigern enorm in alle Richtungen entwickelt, aber die New Yorker Agnostic Front sind mit ihrem Hardcorestil für mich genauso ein Teil davon, wie die Death Metal Fraktion aus Florida. Das Genre ist so weit offen, dass ich eigentlich auch kein Problem für Metalcore sehe, es ist schön, dass es Bands gibt, die Neues probieren, aber auch, dass es welche gibt, die dem Ursprung treu bleiben.
Wir versuchen mit Obituary ja auch nicht, das Rad neu zu erfinden, die Fans wissen, was sie bekommen, wenn sie ein Album von uns kaufen. Jeder muss seinem eigenen Geschmack folgen.
Was sollte deiner Meinung nach jeder Mensch in seinem Leben ein Mal getan haben?
Auf ein Rockkonzert gehen. Nichts ist wichtiger, als ein Mal auf einem schönen Open Air gewesen zu sein. Viele Leute sagen vielleicht, dass man unbedingt mal aus einem Flugzeug springen müsste, aber meiner Meinung nach gibt es viel wichtigere, kleinere Dinge. Nicht jeder ist scharf darauf, seine Höhenangst zu überwinden, aber bestimmt hat jeder eine Lieblingsband, egal wie routiniert er sein Leben verbringt und aus welchem kleinen Dorf er stammt. Also würde ich sagen: Ein Mal aus dem eigenen Ort herauskommen, vielleicht sogar eine lange Reise auf sich nehmen, aber Hauptsache mal auf einem Konzert gewesen sein im Leben. Diese Erfahrung ist einfach elementar.
Was war denn dein allererstes Konzert?
Ted Nugent oder Dio. Zur „Holy Diver“ Zeit… ich weiß nicht, ob es meine allererste Show war, aber ganz bestimmt die, die mich damals am meisten aus den Socken gehauen hat. Aber auch Ted Nugent mit 13 war ein rasantes Erlebnis für mich, das werde ich niemals vergessen!
Interview: Anne Catherine Swallow