Interview mit MAYHEM – "Wir erschaffen einen Raum für den Wahnsinn"

Nach Mitternacht trifft man die interessantesten Gestalten, heißt es immer, und so war es auch in Hamburg nach dem Konzert der Black Metal Legende MAYHEM. Obwohl ich nach längerem Warten im Backstage schon befürchtete, ich müsse unerledigter Dinge wieder nach Hause schippern, gelang es letztendlich doch noch, den König des Höllenfeuers ATTILA CSIHAR vor das Mikro zu bekommen. Ungeschminkt und unscheinbar setzte der ungarische Sänger sich an den Klapptisch, faltete die Hände und hatte bereits deutlich einen im (Hanf-)Tee, entpuppte sich jedoch als extrem gesprächig und höflich. Kein genervtes Gegrummel, keine pyromanischen Anfälle, um ehrlich zu sein, war er sogar einer der angenehmsten Gesprächspartner, die ich je hatte. Auch wenn er sich gelegentlich ein wenig in spirituellen Monologen verlor, konnte wohl keiner die Philosophie und Funktionsweise von Black Metal so treffend beschreiben, wie er. Duckt euch vor den fliegenden Kruzifixen und Schweineköpfen, denn hier kommen MAYHEM.
Anne: Hallo Attila, dich erkennt man ohne Make Up ja kaum wieder… Gestern habt ihr bekannt gegeben, dass ihr eure Tour dem soeben verstorbenen H.R. Giger widmen möchtet – wie kam es dazu, hattet ihr eine persönliche Beziehung zu ihm oder wart ihr nur Fans seiner Arbeit?
Attila Csihar: Er hatte als Künstler immer einen riesigen Einfluss auf uns. Zwar habe ich ihn nie getroffen, dennoch hat er mich auch als Person inspiriert, ich war in seinem Museum und kenne ein paar Leute, die mit ihm befreundet waren – aber ist ja auch egal, was letztendlich zählt sind diese wunderbaren Gemälde, Zeichnungen und Statuen. Seine Visionen waren einzigartig und es machte mich wirklich traurig, als ich von dem tödlichen Unfall hörte, insbesondere weil er noch so viele Pläne hatte. Ich glaube, er sollte bei einem Film Regie führen… genaueres weiß ich nicht, da müsste ich jetzt meinen Sohn fragen (lacht)

Ihr geltet als die härtesten Burschen der Szene, selbst ich wurde gewarnt, bevor ich hier her kam – viele Dinge, die anderen Leuten das große Grauen verschaffen, sind für euch selbstverständlich. Was genau schockt dich denn?
Nun, die Sache mit unserem Gitarristen Euronymous hat mich damals durchaus geschockt, weil es dermaßen unvorhergesehen passierte. Generell ist es um jeden guten Musiker schade, der von uns geht, es trifft mich jedes Mal sehr hart, wenn einer meiner persönlichen Helden stirbt und leider waren das schon so einige. Umso schöner ist es dann aber, zu sehen, dass es immer noch Leute gibt, die seit Jahrzehnten da draußen sind und ihre Musik machen, wie Alice Cooper oder Iron Maiden.
Es ist immer schön aber gleichzeitig seltsam, wenn man bemerkt, dass Bands schon derart lange zusammen Musik machen, ich meine, Mayhem werden dieses Jahr auch dreißig! Das ist völlig verrückt und ich kann es mir gar nicht erklären (lacht). Wir waren ja fast noch Kinder, als wir die Band gestartet haben…
Aber vielleicht ist das gerade der Punkt, dass ihr euch in eurer jugendlichen Naivität derart in der Szene entwickeln konntet und ihr gar nicht groß gezögert habt, bei dem, was ihr tut. Ich schätze, heute würdest du in deinem jetzigen Alter nicht noch einmal alles so machen, wie damals vor über zwanzig Jahren, als du zu Mayhem stießt?
Ich weiß nicht… als Mayhem loslegten, war ich ja noch nicht dabei, sondern spielte in Ungarn mit Tormentor, aber wir starteten etwa zur selben Zeit und ich gab mein erstes Konzert 1986. Ich war eben noch jung und es war alles so neu, wir folgten einfach unseren Instinkten und wüteten drauf los, es wurde nie langweilig. Es sollte extremer sein, als alles bisher, aber die Musik und die Texte kamen eher instinktiv. Gott sei Dank war das damals keine verkehrte Entscheidung, schließlich gibt es diesen Musikstil immer noch, auch wenn die Szene gewachsen ist und jede Band ihren eigenen Pfeffer dazugibt. Aber das war auch ein Grund, warum wir nie aufgehört haben mit Mayhem, wir konnten einfach nie genug von dieser düsteren, von uns kreierten Atmosphäre bekommen und wollten sie weitertragen. Wir erschaffen einen Raum für den Wahnsinn und ich fühle mich oftmals, als stünde ich neben meinem eigenen Körper oder wäre in einer anderen, irren Dimension.
Bist du demnach auch jemand anderes auf der Bühne? Man erkennt dich ohne das Make-Up ja kaum wieder, du wirkst völlig ruhig und introvertiert.

Jein… schon irgendwie. Eigentlich kann man sagen, dass jeder in der Band zwei Gesichter hat und unsere Gehirne in zwei Hälften gespalten sind (grinst) Aber ich mag es, mich zu verändern, die Transformation hat etwas Magisches. Es ist nicht nur eine geistige Veränderung, sondern auch eine Kanalisierung meiner Gedanken und gelegentlich habe ich das bedrückende Gefühl, dass etwas von meinem Körper Besitz ergreift. Wie eine Energie, bei der ich nur hoffen kann, dass mein eigener Geist nicht irgendwo unterwegs verloren geht, wenn ich sie aufnehme.
Meist trägst du auch deine kleinen Hilfsmittel mit dir auf der Bühne herum, wie diesen Totenschädel, deine Henkersschlinge, etc – eigentlich handelt es sich hierbei ja um recht klischeehafte Objekte und bei vielen Bands würde eine solche Deko eher belächelt werden, wieso hast du genau das ausgewählt?

Es ist symbolisch und war natürlich schon immer ein Zeichen für den Tod, aber ich beschäftige mich eher mit der Frage, was uns als Menschen ausmacht, denn viel mehr als Knochen bleibt nicht übrig. Es dreht sich immer wieder um diese andere Dimension und ob das Leben vielleicht nur eine kleine Etappe ist. Schließlich ist der Tod schmerzhaft, aber die Geburt ist es auch, vielleicht stolpern wir einfach nur von einer Dimension in die nächste. Und manche erleben ihren inneren Tod ja bereits während ihres Lebens.
Ich betrachte gern den menschlichen Verstand. Es gibt negative Gedanken und positive und man kann lernen, sie von außen zu beobachten und dann zu beeinflussen. Das ist ein großer Schritt für jeden Menschen und ich wünschte, ich hätte jemanden gehabt, der mir das beibringt. Eines Tages werden sie herausfinden, wie man die menschliche DNA so umprogrammiert, dass man die Gedanken beeinflussen kann.
Jedenfalls finde ich wichtig, dass sich jeder immer wieder mit seinem eigenen Geist beschäftigt, die eigenen Ängste kennt und vielleicht überwinden kann, darunter auch die Angst vor dem Tod. Du wirst dabei merken, dass das meiste deiner negativen Gedanken eigentlich von außen kommt und das ist ein großes Problem in unserem Gehirn. Ich hoffe, dass unsere Musik hilft, dem Schlechten ins Auge zu blicken und somit eine andere Geistesebene zu erreichen.
Vermutlich hält sich die Black Metal Szene deshalb so dauerhaft, weil sie eine zeitlose Thematik aufgreift und bearbeitet und somit eigentlich jeden ansprechen kann.
Ab welchem Punkt hast du denn für dich selbst realisiert, dass die Musik mehr als nur jugendliches Gekloppe ist und sie stattdessen eine derartig eigene Philosophie mit sich bringt?
Es war ein weiter Weg. Ich versuche immer wieder dazuzulernen und ich denke, jeder Mensch muss seinen eigenen spirituellen Weg finden. Aber gelegentlich hat man Momente der Klarheit, wo Dinge einem bewusst werden, die man eigentlich schon jahrelang im Kopf hatte. Das ist dann eine riesige geistige Erleichterung und man kann nur hoffen, dass sie immer wieder auf’s Neue eintritt, da wir ja nur einen so kleinen Teil unseren Gehirns benutzen. Und das ist traurig, weil wir eigentlich in der Lage wären, so viel mehr darin zu speichern, doch unser Kopf filtert die Informationen und so vieles geht dabei verloren. Gut, oft ist das auch sinnvoll, schließlich muss ich mich nicht an jedes Detail dieser Schachtel auf dem Tisch da erinnern, aber es ist faszinierend, dass wir im Prinzip in der Lage wären, diese Information immer wieder abzurufen. Alles zu lernen und zu speichern, was wir mal gelernt haben. Unser Unterbewusstsein ist mächtig und es fasziniert mich, welche Ideen manche Leute entwickeln, sie entstehen einfach von jetzt auf nachher und existierten zuvor in keiner Weise.

Wie unsere Songs. Sicher haben wir einige ohne großen Hintergedanken, die einfach nur brettern sollen und in unserer Jugend entstanden, aber meist versuchen wir, einen höheren Geist damit einzufangen, egal wer nun Teil von Mayhem war. Jeder einzelne Musiker trug seinen Beitrag dazu, sie waren wichtig für die Band und die Band war wichtig für sie.
Du beschreibst hier eine viel höhere Ebene, die ihr mit eurer Musik erreichen wollt und du scheinst dich extrem viel mit der Philosphie von Mayhem zu beschäftigen – stört es dich deshalb nicht, dass in den Medien, wenn euer Name fällt, immer nur von eurer Vergangenheit, den Morden und Selbstmorden gesprochen wird und kaum von dem tieferen Sinn eurer Musik?
Nun, diese Dinge prägten uns ja auch sehr als Menschen und Band. Wir mussten daraus lernen und damit leben und…
Tourmanager [brüllt aus dem Hintergrund]: ATTI! LIEGT NOCH MEHR VON DEINER DRECKIGEN WÄSCHE AUF’M KLO HERUM?
Ähm… nein.
Doch, hier liegen Necrobutchers Socken…
[es folgen drei Minuten Aufräumchaos, betrunkene Leute und ein Typ, der sein Drogenarsenal auspackt] Entschuldige, wo waren wir?
Keine Ahnung, ich habe eh mein Konzept schon ein wenig verworfen und improvisiert… Hat dein Totenschädel eigentlich einen Namen? Oder trägst du womöglich jemand Spezifischen mit dir herum?
Ihr Name war Zero. Ich habe mehrere Schädel in meinem Sortiment, doch der von heute war künstlich. Gelegentlich habe ich echte, für diese Tour musste ich die aber Zuhause gelassen, weil man üble Probleme damit bekommen kann, wir hatten schließlich schon genug Stress deswegen früher.

Leider nahmen die lauten Stimmen im Backstage die Überhand und das Interview bekam ein etwas abruptes Ende, dennoch großen Dank an Attila und seinen Tourmanager Jonas, der das mayhemsche Backstage-Chaos beeindruckend gut unter Kontrolle behielt (trotz schmutziger Socken).
Das neue Mayhem Album „Esoteric Warfare“ ist seit heute über Season Of Mist erhältlich und beweist erneut, dass die norwegischen Urgesteine musikalisch keine Gnaden kennen.

Interview: Anne Catherine Swallow

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