Am 26. November traf ich Jonny Hawkins den Frontmann von NOTHING MORE zum Interview und hatte mit dem sympathischen Texaner eine breite Palette an Gesprächsthemen. Von Tattoos über Philosophie war hier wohl alles vertreten, aber lest selbst!
SI: Die Geschichte zu deinen drei Brandnarben ist ja schon weitgehendst bekannt, aber ich habe gesehen, du hast noch ein Tattoo auf dem Arm. Gibt es dazu auch eine Geschichte?
Ja, es steht für „Veränderung“ auf hebräisch. Ich habe es mir ungefährt 2010 stechen lassen. Es ist schwer eine kurze Zusammenfassung zu geben, weshalb ich es bekommen habe, aber ich versuche es: Ich war am größten Tiefpunkt meines Lebens angelangt. Innerhalb eines Monats habe ich mit meiner Freundin Schluss gemacht mit der ich 5 1/2 Jahre zusammen war, meine Schwester hat den Verstand verloren und wurde von schweren Drogen abhängig und meine Mutter starb an Krebs. Es war der gleiche Moment, in dem ich anfing, für die Band zu singen, in die ich vorher Schlagzeug gespielt habe. Und irgendwie fühlte ich mich beim Singen noch sehr unwohl und war mir unsicher, ob es der richtige Weg ist, den ich beschreite. So in allen wichtigen Bereichen meines Lebens fühlte es sich an, wie ein Handschuh der umgekrempelt wurde. Es war einfach ein wirklich schlimmer Monat. Wir spielten ein Konzert in Dallas in der „Profit Bar“ und als die Vorband auf der Bühne stand, beschloss ich reinzugehen, da ich die ganze Zeit draußen stand und alleine mit mir im Selbstmitleid zerfloss. Und plötzlich schoss mir diese Liedzeile in den Kopf von einem Song, der mich mit meiner Mutter sehr stark verband. Eines der Wörter, das in dieser Zeile vorkam, war „Veränderung“ (change). Es war nur ein kleiner Teil des Songs, aber es ging mir immer und immer wieder durch den Kopf. Ich lief also durch die Bar, die andere Band spielte, doch sie sangen nichts. Es war ein rein instrumentales Stück. Irgendwas hat mich angezogen und ich fing an in Richtung Bühne zu laufen. Es waren nur ein paar Zuschauer anwesend und plötzlich saß ich da mit meinen Armen verschränkt und die Musik hat mich einfach bewegt. Es war wie eine emotionale Massage für mich. Und auf einmal begann die Vorband zu singen: „Alles verändert sich“ (everything is changing). Eben genau was ich in diesem Moment dachte. Das war wirklich merkwürdig für mich und ich erlebte diese emotionale Erfahrung, welche ich schwer beschreiben kann. Es war für mich wie Synästhesie. Als könnte ich Farben hören und Musik sehen. Es ist, wie wenn deine Sinne sich kreuzen. Es war unglaublich, ich habe so etwas noch nie erlebt. Ich konnte endlich inneren Frieden spüren und los lassen. Am Ende des Songs sagte der Sänger, dieses Lied war für jemanden den sie verloren hatten, der ihnen sehr nahe stand und ich dachte einfach nur „Wow!“. Am Ende des Abends sprach ich mit der Band und es stellte sich heraus, dass der Sänger ebenfalls seinen Vater durch Krebs verloren hatte. Es war einer dieser ganz besonderen Momente, in denen man merkt: Selbst in den dunkelsten Stellen im Leben gibt es Momente der Ruhe und des Friedens.
SI: Ich habe in einem anderen Interview gelesen, du seist mit sehr religiösen Eltern aufgewachsen. Spielt Religion für dich noch eine Rolle in deinem Leben?
Einige Lebenserfahrungen, die ich durch Religion machen konnte, sind sehr wichtig für mich, jedoch nicht die Religion an sich. Ich denke Religion im eigentlichen Kontext ist nur ein Wegweiser, der dich in eine Richtung lenkt, zu etwas hin was im eigentlichen Sinne schwer zu definieren ist. Man sollte nicht den Fehler begehen, das Gelände als Karte zu sehen. Das ist für mich Religion.
SI: Durch das Lied „Jenny“ bin ich auf deine Unterstützung zum Thema Geisteskrankheiten gekommen. Möchtest du vielleicht auf eine Organisation hinweisen, mit deren Hilfe auch deutsche Fans ihre Unterstützung zeigen können?
Für Deutschland spezifisch ist mir jetzt keine bekannt, jedoch sind mehrere Organisationen über unser Musikvideo „Jenny“ verlinkt. Es ist ein wichtiges Thema für uns alle und ich würde mich sehr über Unterstützung freuen.
(Wer die Organisationen unterstützen will kann sich hier informieren)
SI: Ich konnte vieles im Internet finden, jedoch nicht die Bedeutung eures Bandnamens. Kannst du ihn mir erklären?
Lass es mich so erklären: Mark (Gitarre) und Daniel (Bass) kenne ich nun schon seit der 7. Klasse. Wir spielen also schon eine ganze Weile zusammen. Über 15 Jahre. Als wir anfingen, hatten wir einen Haufen verschiedener Namen und kamen an einem Punkt, an als mir der Name „Nothing More“ einfach in den Kopf schoss. Ich war bei Mark Zuhause und saß auf der Treppe, als es passierte. Es gab damals zwei Sorten von Bands für uns: Die, die sich selbst auf ein Podest stellten und die Unterstützung der Fans nicht wirklich wertschätzten. Und die, welche fast schon demütig und voller Freude an ihren Fans hingen. Und diese Art von Band wollten wir sein. Am Ende des Tages wollen wir nur tun, was uns Spaß macht und jeglicher Erfolg, der nebenher geschieht, ist schön, aber wir bleiben trotzdem einfach nur Menschen. Daraus wurde der Name geboren. Am Ende hat es damit geendet, dass es manche Konzepte über die wir nachdenken bezüglich östlicher und westlicher Philosophie sehr gut reflektiert. Östliche Philosophie basiert auf Leere und Nichts. Es geht viel mehr darum, Gedanken, die man hatte, ungeschehen zu machen, wogegen es bei westlicher Philosophie eher um Erfüllung und eins mit sich zu sein geht. Und so kommt man wieder zum ganzen „Nothing“ und „More“. Es sind die sich überschlagenden Gedanken der östlichen und westlichen Philosophie und wie wir sie in unsere Musik einflechten. Man kann es auf viele Arten interpretieren.
SI: Gab es Bands, zu denen du am Anfang aufgeschaut hast?
Zur damaligen Zeit die schwedische Hardcore Band Blindside. Ich war sehr jung und habe unglaublich auf sie gestanden. Ansonsten fallen mir noch ein: Rage Against The Machine, Tool, Muse. Mark wuchs mit viel Metallica auf. Ich würde sagen Emery, Dredg, Imogen Heap und Ben Folds waren uns auf jeden Fall eine große Inspiration. Wir greifen hier sehr weit auch außerhalb des Rockgenres . Emery und Ben Folds hatten auf jeden Fall ein großen Einfluss auf unsere Lyrics und Imogen Heap auf unsere elektronische Seite. Bands wie Rage Against The Machine und Blindside haben uns im energetischen Auftritt beeinflusst.
SI: Was hat es mit der metallischen, selbst gebauten Bühnendekoration auf sich?
(lacht) Unser Bassist Daniel fing damit an und brachte sich selbst bei, wie man schweißt. Unser aktuelles Album spielten wir in einem Haus ein, in welches wir einzogen. Das Studio war in meinem Zimmer, der Proberaum im Esszimmer und in der Garage baute Daniel unsere Bühnenelemente. Und so hatten wir diese kleine Fabrikanlage, in der wir lebten und arbeiteten. Und ich sagte Daniel, ich hätte gerne Drums auf denen ich stehen kann, da ich ja selber einmal Schlagzeug gespielt habe und sie dadurch gerne in meiner Nähe hätte. Sie waren natürlich erst nicht robust genug um darauf zu springen oder verrückte Sachen damit zu machen und so sagte ich“ Hey Dan, du kannst doch schweißen“ und so hat er das ganze Teil einfach gebaut und wir haben es „Drum Tron“ genannt. Es besteht aus allen möglichen Metallresten, Fahradketten, Traktorteilen.
SI: Vermisst du es eigentlich Schlagzeug zu spielen?
Ja, definitiv! Es ist ein komplett anderes Vergnügen. Mit singen ist es so: Wenn eine Show gut ist, dann macht das Singen auf jeden Fall mehr Spaß. Wenn die Show schlecht ist, dann zieht es jedoch auch mehr runter. Beim Drummen fühlt sich alles emotional gleichmäßiger an. Man hat eigentlich immer eine gute Show, aber man kommt nie in diese Euphorie wie beim Singen. Es ist etwas anderes, aber ich vermisse es.
SI: Was macht ihr eigentlich nach der Show, um zu relaxen?
Es klingt vielleicht komisch, aber ich gehe gerne auf Youtube und schaue mir politische, philosophische oder religiöse Diskussionsrunden an. Ich mag herausfordernde Unterhaltungen. Aber wir unterhalten uns natürlich auch mit unseren Familien über Skype oder schicken uns SMS. Wenn ich nicht zu müde bin, dehne ich mich gerne oder mache noch ein wenig Sport. Aber wir ziehen auch ab und zu durch die Bars und probieren neue Getränke aus. Ich habe ein wenig deutsches Blut, daher scheine ich deutsches Bier sehr zu mögen. Ihr habt einfach das beste Bier auf der Welt.
SI: Wenn du einen Soundtrack zu einem Film machen könntest. Welcher Film wäre das?
Das ist eine gute Frage! Lass mich überlegen. Ich glaube es wäre der Film „Once“. Er geht eher in die akustische Gitarrenrichtung, jedoch ist es einer der besten Soundtracks, den ich je gehört habe. Ich glaube, das trifft es ziemlich gut.
SI: Was sind eure Pläne für die Zukunft? Steht ein neues Album an?
Wir werden die Europatour beenden und dann gehen wir für ein paar Tage nach Japan und im Anschluss über Weihnachten zu unseren Familien. Im neuen Jahr werden wir dann mit den Arbeiten zu unserem nächsten Album beginnen.
SI: Kannst du uns schon etwas darüber verraten?
Ja, aber nur eine Kleinigkeit. Es gibt da einen Song, an dem wir arbeiten auf den ich schon sehr gespannt bin. Er nennt sich „Wasting Love“. Ich denke, das wird einer der ganz großen Hits auf dem Album.
SI: Kommt ihr nächstes Jahr wieder nach Deutschland?
Ich weiß noch nicht wann genau, aber wir planen es auf jeden Fall!
SI: Danke, für das tolle Inteview, Jonny. Bis zum nächsten Mal!
Interview: Marion Skowronski